Kulturenkonflikt, Cross Culture und neue Ethnizität
GEDANKEN ZU EINER MULTIKULTURELLEN GESELLSCHAFT
VON PAOLO BIANCHI
Das materielle wie auch das mentale Zusammenleben und -arbeiten von Angehörigen unterschiedlicher Kulturen ist nicht nur ein Problem im kleinen (am Arbeitsort, in Städten, Gesellschaften und Nationen), sondern neben den Umweltproblemen eine globale, eine multinationale Herausforderung, deren Bewältigung bzw. Nichtbewältigung über die Zukunft der Erde entscheiden wird. Es sind vor allem Slogans von besonderer Signal- und Reizkraft, welche die kulturellen, philosophischen und politischen Diskussionen dominieren: Heimatgefühl und Nationalismus, Grenzziehung und Grenzüberschreitung, Fremde und Fremdheit, multikulturelle Gesellschaft und kultureller Pluralismus, Weltbürger und Weltbürgertum und so weiter. Nach Jahren des Regionalismus, Lokalismus, Separatismus und Isolationismus bahnt sich im Zeichen einer durch Flüchtlings- wellen (für die 90er Jahre ist ein Wanderungspotential von einer bis eineinhalb Milliarden Menschen prognostiziert) zusätzlich in Bewegung geratenen Welt die Auferstehung zutiefst konservativer Ideale und Leitbilder an: Weltreligion, Weltbank, Weltethos, Weltkultur, Weltordnung, Weltpolitik, Weltwirtschaft etc. lauten die Schlagwörter, als ob wir in einer Welt lebten. Auch der Kunstbetrieb reagierte auf die neue Weltmanie: Weltkunst (z. B. “Magiciens de la Terre”, Paris 1989, oder “The Decade Show”, New York 1990). Vor hundert Jahren sprach man im Zeichen einer Europa- und Weltmanie von Welthandel, Weltstadt, Weltmarkt. Der die Welt beherrschende Weltwahn endete im Ersten Weltkrieg. Die zwangsläufige Fragc drängt sich auf. Steht uns ein dritter Weltkrieg bevor?
Im 20. Jahrhundert sind weltweit grosse Wanderungs- und Fluchtbewegungen in Gang gekommen, die sich gegenwärtig zusehends verstärken. Sie konfrontieren uns in einem bisher nicht gekannten Ausmass mit Menschen fremder Kontinente, Staaten, Religionen, mit unvertrauten…