Ingo Arend
Kultur unter
In Bonn sandte das SPD-Kulturforum erneut einen »Notruf Kultur« aus
Not kennt offensichtlich kein Gebot. An diese Spruchweisheit fühlte man sich erinnert bei der letzten Tagung des Kulturforums der Sozialdemokratie Anfang November in Bonn. Sein Notruf Kultur gesamtdeutsch” galt nicht nur dem geharnischten Protest gegen die Kürzung der Bundeskulturförderung. Er war auch ein programmatischer Notruf der Sozialdemokratie. Trotz Proteste und kluger Reden offenbarte die Tagung einen aufschlußreichen Wandel des sozialdemokratischen Kulturbegriffs und einen folgenreichen Verlust kulturpolitischer Perspektiven.
Im Gegensatz zu den 70er und 80er Jahren, wo mit ” Kultur für alle” noch kulturelle Massenemanzipation angesagt war, soll unter den dramatisch gewandelten politischen Vorzeichen in Deutschland und Europa Kultur zum Ferment europäischer Identitätsbildung und zum gesellschaftlichen Integrationskitt werden. SPD-MdB Peter Glotz, Kulturminister im Schattenreich Scharping, konstatierte in seinem Regierungs-Thesenpapier eine Krise der europäischen Integration. In Deutschland, so Glotz, begännen die erstarkenden nationalkonservativen Kreise, wie jüngst Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, die europäische Integration für eine “Macke des Kriegsverlierers” zu halten. Dagegen müsse die Kultur ein Gegengewicht bilden. “Die Kultur” sah der Münchener SPD-Politiker zugleich als Instrument, eine “europäische Zusammengehörigkeitsstruktur” zu begründen. Sosehr man, der aktuellen Not europäischer Politik folgend, dies als wichtige Aufgabe sieht, ist die Instrumentalisierungsabsicht offenkundig: Kultur als Prohibitivum gegen Gewalt und Nationalismus. Eine Wendung zur Rotkreuz- und Blauhelmfunktion der Kultur, wie sie schon beim letzten “Notruf Kultur” in Sachen ostdeutsche Kultursubstanz Ende 1992 in Potsdam angeklungen war.
Glotz bekannte sich zur europäischen Vielfalt. Um die Sprachen Europas untereinander artikulationsfähig zu halten, wiederholte er die Forderung nach einer europaweiten Preisbindung…
