manifesta 10
The European Biennial of Contemporary Art
28. Juni – 31. Oktober 2014
Eremitage – St. Petersburg
Kühlschränke für St. Petersburg
Anmerkungen zu einigen Aspekten und Werken der Manifesta 10 in Zeiten expandierender Krisen
von Michael Hübl
Die Zeiten ändern sich. „Schützengräben, aufgerissene Erde, Granattrichter, die allmählich von Gras überwachsen wurden.“ Und weiter: „Ausgebrannte Bauernhöfe, deren geschwärzte Mauern noch standen, waren über die Landschaft verstreut. Manche Gebiete, in denen heftige Kämpfe stattgefunden hatten, waren schartig und verschorft wie das Gesicht des Mondes.“1 So erlebte John Steinbeck im Oktober 1947 den Anflug auf Russlands zweitgrößte Metropole, die damals bereits seit 23 Jahren Leningrad hieß, und die inzwischen, seit nun ebenfalls 23 Jahren, zurückbenannt ist in ihren ursprünglichen Namen St. Petersburg2. Kriegsschäden? Vergangenheit. Längst wird die Stadt von Reiseveranstaltern wieder als „das Venedig des Nordens und die Stadt der Weißen Nächte“3 angepriesen.
Die Zeiten ändern sich, und doch lauert überall ein ‚déjà-vu‘, ein ‚déjà-entendu‘. Als John Steinbeck und der Fotograf Robert Capa in der Bar des New Yorker Bedford Hotels unterstützt von einigen hellgrünen Suissesses den Plan fassten, eine Reportage über die Lebensverhältnisse in der damaligen UdSSR zu versuchen, standen in den US-amerikanischen Zeitungen zwar „tagtäglich Tausende von Wörtern über Rußland“4. Aber diese Berichte über „die Pläne des russischen Generalstabs, die Truppenaufstellung, Experimente mit Atomwaffen und Lenkflugkörpern“ hatten „Menschen geschrieben, die nicht dort gewesen und deren Quellen nicht über jeden Zweifel erhaben waren.“5 Capa und Steinbeck wollten sich ein eigenes Bild verschaffen und stießen mit diesem Vorhaben offenbar bei vielen ihrer Landsleute auf fassungsloses Unverständnis. Glaubt…