Paul Brutsche
Krankheit und Kreativität
Meine Überlegungen zum Thema “Bild und Seele” möchte ich unter das Stichwort “Krankheit und Kreativität” stellen. Das Wortpaar läßt weitausholende Erörterungen philosophischer Art erhoffen oder befürchten. Je nach Erwartung werde ich den Leser enttäuschen müssen oder beruhigen können: Meine Absicht ist, daß wir uns anhand der geduldigen Betrachtung einer Bilderserie eines einzelnen Menschen vorsichtig in das Wesen seelischer Krankheit und Kreativität eindenken. Ich werde also versuchen, nicht über Bilder von Geisteskranken etwas zu sagen, sondern in ihren Bildern etwas zu lesen. Ich werde versuchen, aus ihren Bildern zu vernehmen, was Seele im Medium des Bildes über die Erfahrung seelischen Krankseins und seelischer Kreativität aussagt.
Die acht Dias umfassende Bilderserie stellt einen kleinsten Ausschnitt aus einem in die Hunderte gehenden Schaffen eines 37jährigen Mannes dar. Der Mann war während mehrerer Jahre hospitalisiert und stand während der Klinikintervalle in ambulanter analytischer Behandlung. Die Diagnosen waren sehr uneinheitlich und vage und reichten von endogener Depression bis zu maniformer Schizophrenie. Ich lernte den Mann erst viel später kennen, nachdem er die Phasen seines akuten Krankseins hinter sich hatte. Er wandte sich an mich, um mit mir seine früheren Bilder zu betrachten und zu besprechen.
Bild 1 “Bühnenraum”
(Bildarchiv Jung-Institut 92.RA.01)
Der Maler tritt uns in der Mitte entgegen. Er tritt auf. Auf einer Bühne, in einem Zirkus. Hinter ihm zwei Elefanten. Die Selbstdarstellung vervollständigt durch einen heiterfarbenen Rahmen. Ein freundliches Bild auf den ersten Blick, ein Bild, das die Lustigkeit des Jahrmarkts und die “Leichtigkeit des Seins” im Zirkus anklingen läßt. Der erste Blick…