Kontexte und Zusammenhänge
Essays von Boris Groys
Als Boris Groys Ende der achtziger Jahre als Essayist hierzulande bekannt wurde, begrüßte man seine undogmatische Herangehensweise an die aktuelle westliche Kunstszene. Vor dem Hintergrund seiner profunden Kenntnis der im Westen wirksamen ästhetischen und philosophischen Tradition, erschienen seine Beobachtungen und Schlußfolgerungen frisch, weil er selbst mit einer Kunstpraxis in Verbindung steht, die abseits, aber nicht losgelöst dieser Traditionen stand. Gemeint ist die seit den siebziger Jahren aktiven Szene der Moskauer Konzeptualisten, von Gruppen wie “Medizinische Hermeneutik” und Künstlern wie Kabakov oder Pepperstein.
In den Zeiten der Sowjetunion war diese Szene weitgehend von der Öffentlichkeit abgeschnitten; in dieser Isolation blühte eine Adaption westlicher Kunstauffassung, die sich an der Wirklichkeit realsozialistischer Zustände orientierte. In seinem Aufsatz “Der ein-gebildete Kontext” schreibt Groys: “Der für die westliche Kunst so relevante Kampf gegen die formalen Kriterien der Qualität, der die Dynamik der westlichen Kunst der letzten Jahrzehnte weitgehend definiert hat, war also für einen sowjetischen Künstler beinahe unverständlich und kaum beeindruckend, weil er sich solchen Kriterien in seiner eigenen Kultur nie unterworfen war.” Die hier von Groys beschriebene Charakteristik läßt sich auch auf seine eigene Haltung als Kunstpublizist übertragen. Sein Blick auf aktuelle, im Westen sich etablierende Kunst kann deren Verwurzelung in der für sie maßgeblichen Tradition erkennen, aber ihre jeweils ideologische Zielrichtung als relative, auf ihren Kontext bezogene beschreiben. Dieser Blick ist also scheinbar von außen auf den westlichen Kunstbetrieb gerichtet. Dadurch konnte sich Groys eine Schreibweise erarbeiten, in der die jeweils behandelten Kunstwerke in einem größeren Zusammenhang behandelt werden….