Kindertraum und Katastrophe
Bemerkungen zur Ideologie der “freien Figurativen” Frankreichs
von Marie-Luise Syring
“Im Lohengrin (1845-47) symbolisierte Wagner den gottgesandten Künstler, der vom reinen Gefühl des Volkes (Elsa) ohne Wissen verstanden werden soll.”1 Vom reinen Gefühl ohne Wissen, vom intuitiven Verständnis des Betrachters ist in der letzten Zeit viel die Rede. Und wenn man auf die Veranstalter der documenta hören oder den Theoretikern und Verteidigern der Trans-Avantgarde Glauben schenken wollte, dann drückt dieser Satz allerdings auf die glücklichste Weise deren Ansichten über Herkunft, Funktion und Ziel der Kunst von heute aus. Ihre Herkunft: rätselhaft und numinos, jedenfalls unerklärt. Ihre Funktion: nicht Erkenntnis, sondern Erlösung. Ihr Ziel: die Nähe zum Volk.
Was die Herkunft des Kunstwerkes der 80er Jahre angeht, so geben uns die Schriften des italienischen Kunstkritikers Achille Bonito Oliva über die Trans-Avantgarde einigen Aufschluß darüber. So wie er es beschreibt, entsteht es aus einer keimhaften Matrix (dem Zeichen) und hat seinen Ursprung im dunklen Zentrum der eigenen Tiefe. Damit muß die Subjektivität des Künstlers gemeint sein, die er nur deshalb dunkel nennt, labyrinthisch und chaotisch, weil sie dadurch umso weniger mit seinem Wissen und der Ratio zu tun hat. Es ist eine Subjektivität, die, wie Oliva es formuliert, auf einem Gefühl seines Selbst gründet, un sentimento ehe è quello del se. Was den Begriff ihrer Tiefe betrifft, so hat sich Theodor W. Adorno in seiner philosophischen Terminologie sehr ausführlich und erhellend über deren fatale Leere ausgelassen. Oliva geht nicht näher darauf ein, es wird jedoch deutlich, daß es sich dabei um einen…
