Christian Huther
Kienholz: Die Zeichen der Zeit
Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main, 22.10.2011 – 29.1.2012
Museum Tinguely, Basel, 22.2. – 13.5.2012
Ein Wohnzimmer. Nicht modern, aber ganz gemütlich mit Sofa, Tisch, Blumen, Lampe, TV-Zeitschrift und Fernbedienung. Der Fernseher freilich irritiert. Er ist mit Beton umhüllt und hat die konische Form eines Grabsteines. Der Monitor zeigt einen abgetrennten Puppenkopf, darüber stehen Zahlen von Toten und Verwundeten auf amerikanischer und feindlicher Seite – mit deutlich mehr Verlusten des nicht genannten Feindes. Dieses begehbare Raum-Kunstwerk hat Edward Kienholz 1968 geschaffen. Es bezieht Stellung gegen den Vietnamkrieg und verweist auf den beträchtlichen Einfluss des Fernsehens; der Titel „The Eleventh Hour Final“ meint die Spätnachrichten. Im US-Fernsehen wurden während des Vietnamkrieges jede Woche die Opfer beider Parteien aufgelistet. Als die Zahl der gefallenen amerikanischen Soldaten rasant anstieg, kippte die öffentliche Meinung über den Krieg. Jetzt ist das Wohnzimmer-Denkmal von Kienholz, eines der Hauptwerke des US-Künstlers (1927-1994), mit rund 40 anderen Werken in der Frankfurter Schirn Kunsthalle zu Gast.
Eine seltene Gelegenheit, Kienholz’ Schaffen im Überblick zu verfolgen; die letzte deutsche Retrospektive fand 1997 in der Berlinischen Galerie statt. Viele Werke sind inzwischen so fragil, dass die Museen sie nur ungern ausleihen. Die Schirn hat es dennoch geschafft. Das ist gut, denn der Moralist „legte die Finger auf die Bruchstellen der westlichen Gesellschaften, die bis heute kaum gekittet worden sind. Das Werk erhält dadurch eine nahezu ungebrochene Aktualität“, meint Kuratorin Martina Weinhart. Als seine Erben gelten Thomas Hirschhorn, Jonathan Meese und John Bock. Immerhin griff Kienholz mit plastischen, teils gruseligen Raumbildern…