Martin Blättner
»Kennen wir uns?«
Kunsthalle Nürnberg, 29.6. – 20.8.2000
Der Aufprall ist nicht zu überhören. Mit großem Getöse kracht die Kugel auf der Wippe an die Bretterwand. Auf diese Fläche werden Fotos von Menschen aus dem Internet (in einer Live-Aufzeichnung) projiziert, die virtuellen Sex anbieten. Die Wippe kippt. Zum dröhnenden Sound einer monotonen Computerstimme rollt der Globus in die andere Richtung., zur zweiten Projektionswand der verschlüsselten Botschaften aus dem “Chat-Channel”. Diese geräuschvolle und bilderflutende Installation (Titel: “Besser leben durch Fernbedienung”) hat Tony Brown 1997 geschaffen. Sie ist offenbar als sarkastischer Kommentar zum kommunikativen Rollenverhalten der Cyberspace-Gesellschaft zu verstehen, die sich auf einer Odyssee befindet. Sexsucher irren im WorldwideWeb umher und verstecken sich hinter Pseudonymen und Code-Namen, um mit Unbekannten zu verkehren. “Kennen wir uns?” fragt folgerichtig die Kunsthalle rhetorisch. Inmitten der veränderten Lebenswirklichkeit durch die neuen Technologien machen sich Befremden und Verunsicherung breit. Wissen wir vom Anderen mehr als nur die E-mail-Adresse, kennen wir unsere eigene Identität? Sehen wir bei all den fiktiven Elementen ringsum noch klar? Wie ist es denn um unsere Individualität und unsere soziale Kompetenz bestellt?
Die Ausstellung der Kunsthalle stellt Positionen von fünf Künstlern vor, die sich mit neuesten Entwicklungen auseinandersetzen, so auch der Biogenetik. Der Beitrag von Kevin Clarke spielt auf die aktuelle Diskussion über möglich gewordene Genmanipulationen und den Vervielfältigungs-Techniken menschlichen Lebens an. Seine “Porträt”-Fotografien zeigen keine realen Personen, sondern Bildmotive, die Clarke assoziativ mit den Porträtierten in Verbindung bringt. Das so betitelte “Porträt von James D. Watson” stellt ein Hochregal in Verbindung mit einem Punkte-Diagramm…