Markus Brüderlin
Keith Haring – Jenny Holzer
“Schütz mich vor dem was ich will”
Am Hof Wien, 10. Mai-15. Juni 1986
Anläßlich der aktuellen Großausstellung “Wien um 1900” werden es New Yorker Journalisten nicht müßig, Parallelen zwischen ihrer, an Hyperaktivität kollapierenden Weltstadt und dem am Experimentieren mit dem Weltuntergang erstickten Wiener fin du siècle, zu konstruieren. Gerade heute hat die alte Dekadenztheorie, wonach in Zeiten des politisch-wirtschaftlichen Niedergangs eine Kultur ihre prächtigsten Blüten treibt, bei den sensiblen Zeitgeistfühlern wieder Hochkonjunktur. Doch ein Vergleich zwischen dem hypermodernen New York und der prämodernen k.u.k. Residenzstadt müßte wohl auf die großen Unterschiede herauslaufen; besonders wenn man synchron die aktuelle kulturelle Situation von Wien betrachtet.
Die jungen amerikanischen Künstler Jenny Holzer (1950) und Keith Haring (1958), die beide aus dem Innern des Großstadtdschungels von eben diesem New York kommen, boten nun (auf Einladung der Wiener Festwochen) mit ihrer Gemeinschaftsarbeit im öffentlichen Raum eine Gegenprobe. Auf dem mit geschichtsträchtiger Barockarchitektur gesäumten Platz “Am Hof” in der sonst platzarmen Wiener Innenstadt beschrifteten und bezeichneten sie große, extra im Viereck um die Mariensäule herum aufgestellte Plakatwände. An der Frontseite war in demonstrativer Geste das Motto dieser Kunstaktion zu lesen: “Protect me from what 1 want.” (natürlich in Deutsch). Drei, im bekannten Pictogrammstil von Haring reduzierte Figuren, die knöcheltief im Gewühl von Menschenleibern standen, zeigten die drei populären asiatischen Weisheiten: “Ich hör nichts, ich seh nichts, ich sag nichts”. Überragt wurden die Plakatwände vom Sockel der Mariensäule (1644) mit ihren allegorischen Engelsfiguren, die brav ihre Drachentiere abstechen. Eine andere Perspektive schreckte…