Kein Geschäft ist wie das Kunstgeschäft
Kritische Bemerkungen zur Biennale in Venedig
von Klaus Honnef
Selbst in Italien steht Leichenfledderei unter Strafe. In keinem zivilisierten Land der Welt ist das anders. Die Toten zu begraben und ruhen zu lassen, gilt sogar als erster Meilenstein auf dem Weg in ein zivilisiertes Dasein. Nur einige Indianerstämme hatten die Gewohnheit, wie man aus alten Hollywoodfilmen weiß, die Leichen der Verstorbenen in Baumwipfeln unterzubringen, wo sie dann den Geiern zum Fräße dienten. Die Zivilisation hat derlei Begräbnisriten mit der planmäßigen Ausrottung der Roten beendet.
Die Kunstszene bildet einen Teil des gesellschaftlichen Lebens. Je nach Standpunkt einen wichtigen Teil oder so unwesentlich wie der jüngste Erlaß der Stadtverwaltung. Doch aus ihrer sozialen Zugehörigkeit einfach zu schließen, daß sämtliche sozialen Gesetze und Übereinkünfte auch auf sie Anwendung finden, wäre zumindest voreilig. Gerade in jüngster Zeit häufen sich Vorkommnisse, die den Eindruck nähren, die Kunstszene wolle den Zivilisationsprozeß wieder rückgängig machen. Ein klassisches Beispiel führt die jüngste Biennale von Venedig vor. Unter einem Motto, informativ wie die Werbespots der deutschen Parteien vor der Wahl zum europäischen Parlament, “Kunst und Künste. Aktualität und Geschichte”, exekutierte der Direktor für die Sektion der Bildenden Kunst, Maurizio Calvesi, eine besonders degutante Form der Leichenfledderei, wobei er es noch schaffte, den Tatbestand der Hochstapelei zu erfüllen.
Indes – den italienischen Professor der Kunstgeschichte allein für diese jämmerliche Veranstaltung zu brandmarken, wäre ebenso falsch wie ungerecht. Zu viele Faktoren, zu viele Kräfte, zu viele Interessen im Verein mit einer rapide um sich greifenden Kritik- und…