Rolf Lauter
Katharina Fritsch
Das Individuum und die Kollektive Angst
Katharina Fritsch hat an ihrer großformatigen Arbeit mit dem Titel Tischgesellschaft (1988) ein Jahr lang intensiv gearbeitet. Die 16 Meter lange Großplastik besteht aus 32 auf grauen Holzbänken sitzenden Figuren, welche sich in zwei Gruppen zu je 16 Personen an einem langgezogenen Tisch gegenübersitzen. Der Tisch ist mit einem rotgemusterten weißen Baumwolltuch bedeckt. Alle Figuren wurden nach dem gleichen männlichen Modell absolut identisch in Polyester gegossen und anschließend mit schwarzer und weißer Farbe bemalt. Alle Kleidungsstücke sind schwarz, das Inkarnat, d.h. Gesicht und Hände der Figuren, ist weiß. Die Tischgesellschaft folgte unmittelbar nach dem 1987 geschaffenen Elefanten, mit dem die Künstlerin bereits sehr entschieden die Frage nach der Grenze bzw. der Entgrenzung oder Überlagerung der Bereiche “Kunst” und “Leben” gestellt hat. Darüber hinaus versucht sie, der Wahrnehmung von Wirklichkeit eine bildnerische Sprache zu geben, die sichtbare und erfahrbare Wirklichkeit durch strukturale Entsprechungen in Form von Objekten oder Objektinstallationen zu rekonstruieren.
In der Tischgesellschaft wird dieses Interesse Katharina Fritschs noch deutlicher, indem sie mit Hilfe einer subtil formulierten Gratwanderung zwischen den Bereichen des Privaten und Öffentlichen, des Subjektiven und Kollektiven oder des Spezifischen und Allgemeinen eine Rekonstitution der Wirklichkeit der Gegenwart wagt. Die 32 Figuren, absolut identisch im Aussehen, in ihrer Haltung, in ihrer Gestik und Mimik, sind serielle Menschen, Prototypen eines Individuums, das sich aber durch kein Detail mehr vom anderen unterscheidet. Das Subjekt verschmilzt mit dem Kollektiv, der Einzelne wird mit der Gruppe gleichgesetzt. Aufgrund des Verzichts von physiognomischen Details in den…