Jürgen Raap
Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde
Kunst- und Ausstellungshalle der BRD, Bonn, 8.3. – 22.6.2014
Dass sich bei monografischen Retrospektiven eine chronologische Hängung prinzipiell bewährt hat, beweist auch die aktuelle Malewitsch-Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle. Durch eine solche Ausstellungsinszenierung lässt sich die Werkentwicklung eines Künstlers nämlich immer noch am besten nachvollziehen. Bei Kasimir Malewitsch (1879-1935) hat diese Entwicklung ihre Wurzeln in einem starken Interesse an der traditionellen Ikonenmalerei und an der russischen Volkskunst.
Deswegen hat man die Malewitsch-Exponate auch didaktisch geschickt um einige Original-Ikonen aus dem 17. Jh. ergänzt. So kann der Besucher leicht erkennen, wie die Rot-Gelb-Aufteilung in dieser altmeisterlichen Sakralkunst den Künstler zu der Farbgebung in seinem expressionistischen Frühwerk inspiriert hat. Doch dieser Bezug zur Ikonenmalerei beschränkt sich bei Malewitsch nicht nur auf Farbliches. Denn er entwickelt zugleich ein neues Verständnis von Wirklichkeit, das sich von der akademischen Malauffassung des 19. Jh. emanzipiert und das schließlich zu dem Postulat vom berühmten „Schwarzen Quadrat“ als einer „Ikone der Moderne“ führt.
Malewitsch selbst erklärte dazu, die Beschäftigung mit der Ikonenmalerei habe ihm nahe gebracht, dass eben nicht Anatomie und Perspektive das Wesen der Kunst ausmache, und auch nicht die Wiedergabe der Natur. Stattdessen ginge es ihm um das „Erfühlen einer künstlerischen Realität durch Emotion“. Schon in der frühen Gouache „Adam und Eva“ (1903) und in den ornamental stilisierten Bildmomenten von Malewitschs „Leichentuch Christi“ (1908) deutet sich an, wie sich die Prinzipien der Ikonenmalerei bei ihm nach und nach in eine moderne Bildsprache verlängern. An das impressionistisch-pointillistisch und expressionistisch geprägte Frühwerk schließt sich…