Wolfsburg
Kapwani Kiwanga
Die Länge des Horizonts
Kunstmuseum 16.09.2023 – 07.01.2024
Copenhagen Contemporary 25.01.– 25.08.2024
von Michael Stoeber
Es gibt Vokabeln in der Kunstkritik, die man nicht mehr hören oder lesen mag. Nicht, weil sie so scheußlich wären, sondern weil sie inflationär bis zur Sinnentleerung gebraucht werden. Dazu gehören „ikonisch“ oder die hübsch alliterierende Phrase „poetisch und politisch“. Das Problem ist, dass sie so häufig auf Werke angewandt werden, die weit davon entfernt sind, die ihnen zugeschriebenen Qualitäten auch nur im Ansatz zu besitzen.
Ganz anders die fabelhafte Kunst von Kapwani Kiwanga (*1978), die das Kunstmuseum Wolfsburg in einer hoch attraktiven Mid-Career-Retrospektive vorstellt. Sie zeigt multimediale Werke der kanadisch-französischen Künstlerin, entstanden in den Jahren 2009 bis 2023, die sich regelmäßig auf zwei Ebenen lesen lassen. Zur ersten gehört ihr bezaubernd sinnlicher, verführerischer Auftritt. Im Weiteren eine semantische Dimension, die sich gleichermaßen mit Geschichte und Gegenwart auseinandersetzt. Wobei das indigene Erbe der Künstlerin ihre Aufmerksamkeit beinahe unvermeidlich immer wieder auf den Kolonialismus lenkt, dessen Vergangenheit auch heute noch vielfach spürbar ist.
Das demonstriert beispielhaft und ebenso elegant wie unangestrengt Kiwangas Videoinstallation The Sun Never Sets (2017). In einer Tour du monde zeigt sie in großartigen Landschaften berückende Sonnenuntergänge, wie sie romantischer nicht sein könnten. Der Blick auf den die Arbeit begleitenden Text unterrichtet die Betrachter*innen, dass die Bilder in Ländern des ehemaligen British Commonwealth aufgenommen wurden, Nachfahre des britischen Kolonialreichs, das sich rühmte, in seinem Imperium ginge die Sonne nicht unter. Die Motivwahl der Künstlerin ist eine ebenso diskrete wie nachdrückliche Widerlegung dieser Anmaßung, und im Tandem…