KAPITALSTRÖMUNG
Kunsthalle Tübingen 11.03. – 11.06.2017
von Hans-Dieter Fronz
In Tübingen ist ein Kreuzfahrtschiff vor Anker gegangen, eins dieser schwimmenden Hochhäuser; nicht am Neckar, diesem Flüsschen, sondern in der Kunsthalle der Stadt. Eigentlich aber auch nicht in Tübingen, sondern in Venedig, wo es ja tatsächlich passieren kann, dass einer dieser Giganten der Weltmeere unvermutet wie in einem surrealen Traum um die Ecke lugt. Ungewöhnlich an Holger Wüsts knapp 4 mal 19 Meter messender Fotomontage in Schwarz-Weiß ist nicht nur die Galionsfigur des Luxusliners: eine riesige Marx-Büste. Ungewöhnlich sind auch die Passagiere – Migranten, so scheint es, die auf langen Leitern, gleichsam über den Dienstboteneingang das Schiff betreten. Andere blicken schon von der Reling auf den Markusplatz herab. Dort marschieren Polizei und Grenzschutz auf, der Grund: ein Flüchtlingscamp vor dem Dogenpalast, mit Zelten und Lagerfeuer, im Wind flatternder Wäsche sowie Transparenten mit orthographisch nicht immer ganz fehlerfreien Parolen: „Siamo tutti migranti“, „Refugee are welcom here“. Am Ufer vor dem Schiff haben Fernsehteams Stellung bezogen.
Die Flüchtlingskrise: noch immer das Thema der Stunde. Und irgendwie existiert auch ein Zusammenhang zwischen Wüsts monumentaler digitaler Fotomontage und dem Gegenstand dieser Pilot-Schau nach längerer Schließung der Kunsthalle infolge von Sanierungs- und Erweiterungsmaßnahmen. Die Ausstellung handelt von Armut und Reichtum, von Steuerparadiesen und dem Elend in der Welt als Folge der Ungerechtigkeit des globalen Wirtschaftssystems; von Kapitalfluss auch, von Geld-, Waren- und Menschenströmen, kurz: vom Kapitalismus, was auch schon im Titel der Schau anklingt: „Kapitalströmung“. – Wo wir gerade beim Geld sind: Die 1,2 Mio. Euro teure Erweiterung um…