Friedemann Malsch
Kämpfer und Liebende
12 JAHRE MARINA ABRAMOVIC/ULAY
Marina Abramovic und Ulay trafen am 27. Juni 1988 bei Er Lang Shan, Shenmu, in der Provinz Shaanxi, auf einer Brücke, die einen taoistischen und einen konfuzianischen Tempel verbindet, wieder aufeinander. Nach einem mehr als 2000 Kilometer langen dreimonatigen Marsch von den entgegengesetzten Enden der Großen Chinesischen Mauer her hatten sie damit nicht nur das aufwendigste und auch umstrittenste Projekt ihrer künstlerischen Laufbahn glücklich beendet. Es war auch der definitive Abschluß des letzten Projekts ihrer Zusammenarbeit als Künstler. Die Begegnung nach drei Monaten Trennung und einer außergewöhnlichen organisatorischen sowie rein physischen Leistung resultierte also in ihr eigentliches Gegenteil. Der Form nach eine langwierige Annäherung, handelte es sich in Wahrheit um den Schlußakt einer Trennung. Das gemeinsame Leben hatten beide bereits ein Jahr früher aufgegeben, und wäre nicht eine weitere Zeitverzögerung für den “Großen Marsch” um ein Jahr eingetreten, wären die private und die berufliche Trennung auch zeitgleich erfolgt. Diese Synchronizität von Privatleben und Beruf hat die fast dreizehn Jahre dauernde Zusammenarbeit der beiden Künstler von Beginn an geprägt. Sie ist auch eine der wesentlichen Quellen für den “Mythos Abramovic/Ulay”, der die beiden bereits seit Ende der 70er Jahre umgibt. Ihr gemeinsames Werk ist von einzigartiger Kohärenz, und es verkörpert wie nur wenige andere die prinzipiell ganzheitlichen Kräfte von Kunst. Ihr Auseinandergehen nach mehr als zwölf Jahren bedeutet mithin auch mehr als die bloße Scheidung eines Künstlerpaares; es bedeutet zugleich das Ende einer Ära.
Im Herbst 1975 trafen beide sich erstmals anläßlich einer Performance-Reihe in…