Kairos
»Texte zu Kunst und Musik« von Jutta Koether
Gegen das Alltäglich-Katastrophale versucht das künstlerisch-kulturelle Subversionsmodell “Pop” mit Hedonismus zu kontern. Das alte Rätsel von der Weggabelung, wo jemand steht, der einmal lügt und einmal die Wahrheit sagt, von dem man mit nur einer Frage den richtigen Weg herauszubekommen hat, gilt für die subversive Popkultur als allegorisches Bild: der falsche Weg ist die Kon- und Uniformität der Masse, der richtige Weg ein immer schmalerer, aber aggressiverer Individualismus.
Doch noch der radikalste Individualist, mit ureigenster Meinung und weitvorlaufender Antizipation der kommenden Mode, hat zum echten Feind nicht die konforme Masse, sondern seine atomistische Identität selbst. Der wahre Hedonist braucht eine kleinere Einheit als die Masse, die nicht quantitativ zu bestimmen ist, sondern qualitativ – er braucht den Zirkel, die Gruppe. Die Unterscheidungen zwischen Masse und Kleingruppen nach Geschmack und Mode funktionierte früher noch über die Sachen selbst: hier Disco, da Punk. Doch seitdem die Massenkonsumenten und Individualisten dieselben Bands und Klamotten bevorzugen, braucht es feinere Strategien der Unterscheidung. Die Welt der Schlagermusik ist auf einmal nicht per se schlecht, sondern es kommt darauf an, wie sie interpretiert wird – die hedonistische Tendenz des bürgerlichen Individuums differenziert heute weniger nach Kriterien der Bildung und des Geschmacks; die Akkumulation symbolischen Kapitals organisiert sich gegenwärtig offensichtlich durch Ausschlußmechanismen in Lebensweisen und Diskursen.
Deshalb ist das kulturelle Rezeptionsmodell der Hedonisten der esoterische Zirkel, die geheimbündlerische Attitüde.
Grundzüge solcher Differenzierungsverfahren sind jedoch älter und haben interessanterweise in der Musik ihren Ursprung; schon Tieck und Wackenroder führten das Reden über Musik in…