Franz Thalmair
Jos de Gruyter & Harald Thys
»Das Wunder des Lebens«
Kunsthalle Wien, 7.2. – 7.5.2014
„Stellwand 6,“ lispelt eine mechanische Stimme und betont alle längeren Wörter auf der zweiten Silbe: „Oben links: Skizze eines gefolterten Mannes, angefertigt von einem Zeugen. Oben Mitte: Präsident des flämischen Oldtimer-Clubs. Oben rechts: kopflose Frauen, die in einem Wald spazieren gehen. Unten links: Tonköpfe, die Anne Frank darstellen. Unten rechts: ein Wal, von Fischern gefangen und zerschnitten.“ Jedes Wort wird von der Computerstimme für sich gesprochen, jeder Abschnitt endet mit der Aufforderung an die HörerInnen, zur nächsten Stellwand weiter zu gehen. Der Audioguide zur Ausstellung „Das Wunder des Lebens“ in der Kunsthalle Wien dient nicht der Kunstvermittlung. Die Stimme erklärt keinen erweiterten Ausstellungszusammenhang oder führt die BenutzerInnen des Geräts zu einem übergeordneten Thema, sie erläutert auch keine formalen Aspekte der Bilder, die BetrachterInnen in der Schau vor sich haben. Ähnlich wie eine Audiodeskription im Fernsehen für sehbeeinträchtige Menschen, hat das aus Belgien stammende Künstlerduo Jos de Gruyter und Harald Thys Hörbilder produziert, mit denen es die rund 400 Zeichnungen seiner ersten Personale in Österreich durch nüchterne Beschreibungen re-präsentiert.
Die rhythmische Strenge des Audioguides – seine Trockenheit, Klarheit, aber auch seine unangenehme Penetranz – setzt sich in der Ausstellungsarchitektur unmittelbar fort. Jos de Gruyter und Harald Thys zeigen die Fülle ihrer eigens für Wien angefertigten, dilettantischen Bleistiftzeichnungen auf insgesamt 40 Stellwänden, die sie parallel zueinander und gleichmäßig verteilt zu einem extra Raum im Ausstellungsraum, zu einer Art symmetrischer Siedlung mit ebenso symmetrisch angelegten Gehwegen, arrangiert haben. An…