Jonathan Crary:
Techniken des Betrachters
Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert
Michel Foucault hatte an den Schlußsatz von “Überwachen und Strafen” noch eine Anmerkung gehängt: “Hier breche ich dieses Buch ab, das verschiedenen Untersuchungen über die Normierungsmacht und die Formierung des Wissens in der modernen Gesellschaft als historischer Hintergrund dienen soll.” Der darin enthaltenen Aufforderung, die Genealogie der Moderne entlang den Linien ihrer Spezialdiskurse weiter auszuleuchten, ist Jonathan Crary mit seiner Studie zur Modernisierung des Blicks im 19. Jahrhundert beispielhaft nachgekommen. “Techniken des Betrachters” beschreibt die historische Konstruktion des betrachtenden Subjekts gewissermaßen als Sonderfall der von Foucault analysierten “Verfertigung” des Individuums durch die Disziplinartechniken der modernen Überwachungsgesellschaft. Seit dem Erscheinen seines amerikanischen Originals, 1990, zählt Crarys Buch zu den meistzitierten in der mittlerweile boomenden “Visual Culture”-Diskussion.
Entgegen einer (modernistischen) Kunstgeschichte, die mit Manet und dem Impressionismus in den 70er und 80er Jahren des 19. Jh. den entscheidenden Umbruch zur visuellen Kultur der Moderne ansetzt, versteht Crary die künstlerisch manifestierte Autonomisierung des Sehens bereits als einen Effekt der Neubestimmung der Wahrnehmung in den wissenschaftlichen und technologischen Diskursen der vorangegangenen Jahrzehnte. Wenn Crary sich gegen den Alleinvertretungsanspruch der Kunst auf die Erneuerung des Sehens wendet, dann zugleich gegen den scheinbaren Gegensatz zwischen den radikalen Experimenten einiger moderner Maler und dem “Realismus” populärer Repräsentationspraktiken. Beide sind Teil einer allgemeinen Entwicklung, die im Laufe des 19. Jh. die subjektiven und körperlichen Komponenten des Sehens erforscht, die Wahrnehmungsstrukturen meßbar, und den Betrachter damit kalkulierbar macht.
Das epistemologische Modell der Camera Obscura, das der Cartesianischen Bewußtseinsphilosophie im 17. und 18. Jh….