Michael Hübl
John Chamberlain
»Blech-Barock und Schrottplatz-Plissee«
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 11.5. – 21.7.1991
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum, 25.8. – 3.11.1991
Verglichen mit den Nouveaux Réalistes, denen er methodisch nahesteht, wirkt John Chamberlain wie ein Meister des Faltenwurfs, ein Karossen-Couturier, dessen Art der Schrott-Maßschneiderei gequetschten Blechen den Anschein gibt von Taft und Tüll. In einem Saal der Baden-Badener Kunsthalle, der ersten Station einer Chamberlain-Retrospektive, liegen einige geknautschte Ölfässer herum; die wirken in ihrer Verformung derart leicht, daß man meinen könnte, hier hätten vielleicht ein paar Punk-Walküren ihre überdimensionalen Schnupftüchlein fallen lassen. Chamberlains Plastiken, die nicht selten zwei Meter und mehr in die Höhe ragen, geben das utopische Versprechen von der Überwindung der Materie durch sich selbst, denn sie transzendieren das scharfkantige Material, aus dem sie gepreßt sind, ins Leichte, fast schon Duftige.
Die artifizielle Überhöhung des Rohstoffs Schrott wird in Baden-Baden durch eine fast überzogen coole Inszenierung noch gesteigert. Chamberlains “Verb Goddess” (Verb-Göttin, 1988-1990), ein Relief von immerhin knapp viereinhalb Metern Länge, leugnet das Gewicht der angesammelten Stahlmassen, sieht von weitem aus wie eine lockere, absichtslose Spielerei aus bunten Geschenkpapieren, die nach einem großen Fest übrigblieben. Mit der Dynamik eines Schriftzuges zieht sich dieses gefältelte Blech-Geplänkel über die Wand und verwandelt wie nebenbei die Wahrnehmung sprachlicher Bedeutung: Hier sind Kühlerhauben und Kotflügel wie bei einer Karambolage komprimiert, und doch entsteht der Eindruck, das Schrottplatz-Plissee ließe sich ebenso unschwer in die Lüfte heben wie ein Flügel oder ein Häubchen.
Da liegt es nahe, wie Jochen Poetter an “barocke Lustbarkeit”1 zu denken. Obgleich Chamberlains Kunst dort ihren Ausgang…