Heinz Schütz
John Cage und die Moderne
»Kunst als Grenzüberschreitung«
Neue Pinakothek, München, 18.7. – 27.10.1991
Die Veranstaltungsreihe umfaßt Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Vorträge, Performances, Film- und Videovorführungen. Ihr programmatischer Titel verbindet Cage mit der Moderne. Das bedeutet im Zeitalter der Postmoderne zwangsläufig: Er rückt Cage ins historische Abseits, es sei denn, ein Verfechter der Moderne hielte der Gegenwart kämpferisch entgegen, was ihr bereits als Vergangenheit erscheint. Der Titelbegriff “Grenzüberschreitung” weist auf avantgardistische Leitmotive. Er läßt sich dreifach interpretieren: als Innovationismus, der jede Form künstlerischer Tradierung durchbricht; als Gattungsüberschreitung hin zum intermedialen Gesamtkunstwerk und nicht zuletzt als Weg, der von der Kunst ins Leben führt. Alle drei Motive klingen bei Cage auf spezifische Weise an. Zweifellos gehört er zu den vehementesten Verfechtern und Anregern der zweiten avantgardistischen Welle. – Zweifelhaft ist es allerdings, auf letztere den Begriff der Moderne ungebrochen anzuwenden.
John Cages’ radikalste “Komposition”, gleichzeitig das wohl radikalste Musikstück unseres Jahrhunderts, entsteht bereits 1952. In “4’33”” werden Beginn und Ende dreier Klaviersätze durch pianistische Gesten angedeutet. Klavier wird nicht gespielt. Die Musik, die zu hören ist, ist die Stille, besser: die die Stille überlagernden Geräusche wie Husten, Scharren, Sprechen, Verkehrslärm, Wind … Was hier angelegt ist, setzt sich im Avantgardismus fort mit der Aktionierung der Kunst in Happening und Fluxus-Event und wirkt noch in den siebziger Jahren weiter in Parolen wie “Alles ist Kunst”. Wie das Konzert von Margaret Leng Tan belegt, vermag das Konkretistische von “4’33”” auch heute noch zu wirken. Der historische Querschnitt durch Cages Klavierkompositionen evoziert jedoch paradigmatisch die Frage…