Joel Peter Witkin
Der Ton ist beißend, das parodistische Moment wandelt sich zur sarkastischen Farce, das verlegene Lächeln, das die Fotografien von Joel Peter Witkin hervorrufen, bleibt uns plötzlich im Halse stecken; nicht wenige der Aufnahmen schockieren offen, lassen uns buchstäblich erschauern. Ist da ein Künstler mit einer besonders finsteren Fantasie am Werk? Zugegeben – selbst vor schrillen Geschmacklosigkeiten schreckt Witkin nicht zurück. Welche Reaktion bleibt uns auch, wenn wir einem fotografischen Torso begegnen? Vom Torso’ sprechen wir in der Kunst angesichts einer unvollständigen menschlichen Figur, eines Körpers ohne Extremitäten z. B. Unserem Bewußtsein hat sich die Antike geradezu als torsohafte Kunst eingegraben. Im Unvollkommenen manifestiert sich Geschichte, markieren sich Geschehnisse, die den herrlichen Skulpturen widerfahren sind. Selbstredend handelt es sich um Verletzungen, aber Verletzungen von toten Gegenständen. Was allerdings, wenn Witkin einen schönen männlichen Torso im fotografischen Abbild präsentiert, dazu noch mit weiblichen Brüsten? Einen männlichen Körper ohne Arme, lediglich mit Armstümpfen an den Schultern? Auch wenn wir durch den Bildterror der Massenmedien hartgesotten sind – uns schüttelt es. Doch der Künstler ist kein Leichenfledderer noch inhumaner als wir. Er nimmt nur unsere Vorstellungen wörtlich, setzt sie in Szene. Unsere Vorstellungen von der Antike, unsere Vorstellungen von der Fotografie. Gegenstand einer Serie aus jüngster Zeit ist die Geschichte der Fotografie. Witkin bevorzugt ohnehin in seinen Arbeiten eine Bildsprache, die sich an der fotografischen Ausdrucksweise des 19. Jahrhunderts orientiert. Seine fotografischen Bilder weisen künstlich beigebrachte Beschädigungen auf. Kratzer, Lichtflecke, Erosionen, Doppelbelichtungen – alles ‘fakes’, Ergebnisse ausgiebiger Laborarbeit ebenso wie die vermeintlichen…