Jenseits des Bürgertums
Die Geschichte der Kunstvereine ist eine Erfolgsgeschichte.
Dennoch müssen sie sich in einem extrem erweiterten und veränderten Kunstfeld neu aufstellen, das zudem unter Druck von rechts gerät
von Ingo Arend
„Haben wir keine Kunst, so haben wir wenigstens ein Künstchen“. Es ist schon erstaunlich, wie sich der Maler Anselm Feuerbach in seinem 1878 erschienenen Buch Vermächtnis über das verständnislose Kunstphilistertum, über Genrebildchen, „Damenmalerei“ und patriotische Gefühle in den deutschen Kunstvereinen lustig machte.
Schließlich lag die Gründung der deutschen Kunstvereine kaum mehr als hundert Jahre zurück. Doch offenbar hatte sich in den Instituten, mit deren Hilfe sich der kulturelle Aufstieg des Bürgertums seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vollzog; mit deren Hilfe er seine Kulturrevolution gegen den Adel und den Klerus durchgesetzt hatte, ein konservativer Habitus breit gemacht, der den Gründungsintentionen Hohn sprach.
Wenige Jahre später, 1919, karikierte der Schriftsteller Hans Kaiser in seinem Aufsatz Der Kunstverein. Eine Grabrede dessen 100jährige Geschichte gar als Szenen einer Ehe des „gebildeten Mittelstandes“ mit der Kunst, die von der „jungen Liebe“ bis zur Sezession reichte. Schließlich vegetiere er in Form einer Ersatzehe, in welcher „alte Herren sich von Haushälterinnen ihre Lieblingsgerichte kochen lassen“, während die „Kunst anderswo [ist]“.
So sarkastisch muss heute niemand mehr über Kunstvereine reden. Mag es auch noch das eine oder andere Exemplar seiner Gattung geben, das sich als Anlaufpunkt für die Kulturrituale eines geschmackskonservativen Lokal- beziehungsweise Honoratiorenbürgertums versteht. Heute gelten Kunstvereine überwiegend als Plattformen für junge, experimentelle Kunst. Im allgemeinen Verständnis sind sie geradezu zur Inkarnation des äußerst Avancierten geworden.
Auf den ersten Blick…