Peter Herbstreuth
Jenny Holzer: »OH«
Neue Nationalgalerie, Berlin, 4.2. – 16.4.2001
Bis vor drei Jahren wurde die Halle von Ludwig Mies van der Rohe meist durch Vorhänge abgeschottet und der lichte Bau aus versicherungstechnischen Gründen als Dämmerkammer mit Kunstlicht gehalten. Dann kam Ulrich Rückriem und gab der allseits verglasten quadratischen Halle ihre einzigartigen Qualitäten zurück. Er ließ die Vorhänge beseitigen und öffnete durch eine Bodenmarkierung die Augen für die Raumkapazität der Glasbox mit einem vor allem Nachts atemberaubenden Panorama: Innen und Außen als Wechselbeziehung. Die Intervention war so überzeugend, dass die Museumsleitung das Vorbild des Künstlers als Prinzip beibehielt. Davon profitierte auch Jenny Holzer, die über die gesamte Erstreckung der Kassettendecke ihre wohlbekannten “visuell radios” in leuchtend bernsteinfarbener Schrift anbringen und Binsenweisheiten (“Truisms”) aus den letzten zwanzig Jahren gespickt mit Zusätzen aus “Inflammatory Essays” über “Lament” und “Lustmord” bis “Blue Revue” passieren ließ.
Ereignis waren auch bei dieser “OH” betitelten Schau nicht die Einsichten des Volksmunds oder die politischen Parolen der Künstlerin, sondern das visuelle Schauspiel fliegender Buchstaben entlang der Schienen über die Köpfen hinweg. Gleichwohl meinte ein Teil der Berichterstatter im vorauseilenden Bedauern ganz unironisch sich darüber beklagen zu müssen, dass sie sich die Sätze leider nicht genug zu Herzen nehmen könnten. Es sei etwas mühsam, die mobilen Buchstaben an der Decke zu lesen. Und man könnte, so hieß es treuherzig, vielleicht sogar einen Satz übersehen.
Was war zu lesen? Schlagzeile um Schlagzeile, die Meinung um Meinung als Tatsachen artikulierten. “Beim Träumen ist man unschuldig.” “Ein Mangel an Charisma kann tödlich sein.” “Privateigentum…