Doris von Drathen
Jean-Pierre Bertrand
“Neue Arbeiten”
Galerie de France, Paris, 1.4. – 31.5.1998
Kann man Träume berechnen, über präzise mathematische Formeln sich aus der Realität abseilen? Nach seinen großen Retrospektiven 1994 im Pariser Musée d´Art Contemporain und 1996 im Carré d´Art, Nîmes, scheinen die neuen Arbeiten von Jean-Pierre Bertrand zunächst aus seinem gewohnten Regelwerk auszubrechen, bei näherem Hinschauen aber entdeckt man ein um so strengeres System von Berechnungen und Formeln, das den Betrachter erst recht an die Ränder von schwindelerregenden Abgründen lockt.
Zu den neuen Arbeiten des französischen Künstlers, der sich zwischen Konzept und der Untersuchung von natürlichen Materialprozessen nie festgelegt hat, gehören zwei Skulpturen aus Stahl. Die eine davon ist Barnett Newman gewidmet; nicht viel mehr als die Einteilung einer Fläche in Sektionen war der Grund für den Titel, den Bertrand wie alle anderen Zuordnungen und Bezeichnungen immer ´findet´, wenn die Arbeit abgeschlossen vor ihm steht, und wie alle anderen Titel ist auch dieser nicht allzu ernst gemeint. Zwei Stahlrollen liegen zwischen zwei Stahlplatten auf einem ein-Meter-hohen Sockel. Die Volumen der beiden Rollen entsprechen der Hälfte des Volumens einer Platte. Die obere Platte und die beiden Rollen sind beweglich. Bertrand hat berechnet, daß auf diese Weise die Rollen sich doppelt so schnell bewegen, wie die Platte. In fixem Zustand hat die Arbeit eine große Stille, erinnert vielleicht sogar an einen Schrein, der Gebetsrollen aufbewahrt. Wenn die Rollen aber berührt werden, eben gerade wie Gebetsrollen im Tempel, die andächtig mit der flachen Hand gedreht werden, setzt sich eine Teufelsmaschinerie in Gang. Die…