AMINE HAASE
Japan – ein Land mit den Augen erleben
Eine Reise von Tokio nach Kyoto – vom Ort der Überfülle visueller Reize an den Ort der Fülle der Leere par excellence. Eine Reise, in der die Zeit eine Endlosschleife beschreibt, die Natur in der Stadt zu finden ist und das Paradox der beste Führer sein kann. Die japanische Freiheit zum Unvollkommenen ermutigt die europäische Reisende zu Impressionen und Reflexionen in drei Kapiteln.
1. Das Leuchten der großen Welle
Die Straßen haben keine Namen, so dass man, will man sich in Tokio nicht verlaufen, auf visuelle Anhaltspunkte angewiesen ist. Der Mitteleuropäer, der sich nicht zwischen Ueno und Ginza, zwischen Roppongi, Shibuya und Shinjuku verlieren will, muss seine auf Adressbüchern, Schrift und Schildern, all die auf lesbaren Wörtern beruhenden Orientierungshilfen zur Seite legen und sich ganz auf seine Augen verlassen. Und er muss seinem optischen Erinnerungsvermögen einiges zumuten in dieser Stadt, die nicht nur an jeder Ecke anders tönt und riecht, sondern deren Leuchtreklamen, Publicity-Screens, Plakate größer, bunter, zahlreicher sind als in New York, London und Amsterdam zusammen.
Tokio – ein schwer einsehbares Zeichen-System, kaum entzifferbar für den Fremdling? In jedem Fall ein Kunstwerk ganz ungewöhnlicher Art, das anzuschauen so manche Überraschung bietet. Denn zu einem auf Anhieb nicht entschlüsselbaren Stadtplan, den scheinbar chaotisch verlaufenden Straßen und Gleisen, den offenbar ohne Plan hingesetzten Häusern in allen möglichen Formen, Größen und ihrem verwirrenden alltäglichen Beiwerk, bunt und leuchtend, kommen die Menschen. Und das sind, je nach Straßenkreuzung oder U-Bahnstation Massen, die selbst wie bewegliche Zeichen wirken…