»Ist Renoir nicht doch auf der Suche nach dem verlorenen Paradies?«
HEINZ-NORBERT JOCKS SPRACH MIT GÖTZ ADRIANI ANLÄSSLICHDER RENOIR-AUSSTELLUNG IN DER TÜBINGER KUNSTHALLE, 20.1. – 27.5.1996
Tübingen. Kaum zu fassen! Da wird der große Auguste Renoir von Experten in der Regel skeptisch beäugt, da der Zuckersüßlichkeit bezichtigt. Es heißt, der Kitschier tue so, als sei die Erde aller Not und Laster beraubt. Noch heute wird ihm das Märchen von geglückten Tagen und einer heilen Welt als Blindheit, gar Weltvergessenheit ausgelegt. Ob er vielleicht deshalb seit über einem Jahrhundert als der beliebteste unter den Impressionisten gilt?
Offenbar reizte es Götz Adriani, den Direktor der Tübinger Kunsthalle, nachzufragen, warum so viele, von Cézanne, Monet, Toulouse-Lautrec, van Gogh über Matisse, Bonnard und Apollinaire bishin zu Picasso und Konrad Klapheck, diesen “Realisten des schönen Scheins” bis in die letzten Schaffensjahre hinein so vehement bewundern. Statt den Meister zu aktualisieren, geht es dem erfolgreich auf die französischen Klassiker der Moderne spezialisierten Ausstellungsmacher in erster Linie um die kunsthistorische Relevanz des Werks. Darum verteidigt er ihn als Figurenmaler und Landschafter mit exzellenten Gemälden. Deren unglaubliche Raffinesse, hohes Niveau, schmeichlerische Schönheit und frische Ausstrahlung erscheinen so unangetastet, als seien die Farben eben erst angerührt worden.
Wie zuletzt mit Cézanne, dem Zweifler wider Willen, so hat uns der stets für Überraschungen gute Kurator auch diesmal ein wahres Wunder mit Leihgaben aus Europa und Übersee beschert. Mit einer Traumausstellung, die mit über hundert Gemälden erstmalig den ganzen Renoir von 1860 bis 1917 von seiner allerschönsten Seite zusammenfaßt, nimmt der Kurator den Meister vor…