Johannes Meinhardt
Isolde Wawrin
Galerie Ingrid Dacic, 9.4.-30.5.1989
Vielleicht ist das Verhältnis von Wahrgenommenem, Imaginärem und Symbolischem in der Zeichnung immer mehrdeutig und schwebend; vielleicht liegt der Ort von Zeichnung gerade zwischen den Polen von Abbildung, Äußerung und Schrift, in der oszillierenden Überlagerung mehrerer Typen von Referenz und von Bedeutung. Die Bild- und Zeichenwelten Isolde Wawrins situieren sich in einem Geflecht schwankender und labiler Spannungen zwischen zeitgenössischen Wahrnehmungskategorien, individuellen und fast phantasmatischen Symbolisierungen und Imagines, und einer Reihe von historisch frühen oder archaischen Symbolsystemen, die sich selbst aus mehreren Quellen speisen, aus rhythmischen, ordnenden, ideogrammatischen, topologischen Quellen. Die (für viele) schwer hinzunehmende Tatsache, daß alle Symbolisierung, alle Schrift, schon alle Weltordnung eine unreine Herkunft hat, sich auf dunkle und vielfach verstrickte Weise ausbildete, zeigt sich erneut in der Ungleichzeitigkeit und Unvereinbarkeit der vielen Aspekte, die die Zeichenwelten von Isolde Wawrin hervorbringen. Die langwierige und nichtlineare Differenzierung von psychischer, gesellschaftlicher und symbolischer Organisation menschlicher Sozietäten, deren Erfahrung in modernen Gesellschaften möglichst ausgeschlossen wird, steht aufs Neue in solchen Arbeiten in Frage und muß, immer nur partiell möglich, bewältigt werden. Daß der Wahnsinn für das 20. Jahrhundert zum Außen des Leibes, der Seele und der Sprache geworden ist, beruht weitgehend auf solchem Vergessen der Arbeit und der Qual, die erst Weltordnungen (also Formierungen des Leibes, der Gesellschaft und des Symbolischen) erschaffen. Isolde Wawrins Zeichnungen erfahren diese Arbeit, arbeiten an Differenzierungen und Ordnungen der chaotischen Natur (und auch die Rationalität moderner Gesellschaften partizipiert wesentlich an dieser Natur). Nicht als ob sie am Anfang der Zeiten…