Rainer Unruh
Isa Genzken
»Vom 23. Stock aus«
Galerie Jürgen Becker, Hamburg, 15.3. – 8.5.1991
Von der friedvollen Stimmung, die Isa Genzkens Objekte ausstrahlen können, sprach Paul Groot anläßlich der großen Rotterdamer Genzken-Retrospektive vor zwei Jahren. Was mit Blick auf die verschlossenen, fast hermetischen Betonskulpturen der 80er Jahre damals in manchen Ohren verblüffend klang, entpuppt sich im nachhinein als eine erstaunlich hellsichtige Beobachtung. Denn die neuesten Arbeiten der Künstlerin verblüffen durch eine ungewohnte Offenheit und Leichtigkeit.
Dabei ist Genzken ihrem Material, dem Beton, treu geblieben. Doch geht sie diesmal an die äußersten Grenzen dessen, was dem spröden Stoff zugemutet werden kann. “Mittelweg” und “Sophienterasse”, zwei grazile Objekte von 1991, erinnern an das Skelett eines Paravents. Die schmalen, über zwei Meter hohen und durch ein Metallscharnier verbundenenen Rahmen sind nur wenige Zentimeter dick. An einigen Stellen ist der unbehandelte, in seinem ursprünglichen Grau belassene Beton abgebröckelt, so daß die ohnehin sehr schlanke Gestalt den Charakter des Zerbrechlichen annimmt. Beton, der Baustoff der Moderne par excellence, der seine Karriere in der Architektur allein seinem Gebrauchswert verdankt, erhält so einen sinnlich erfahrbaren Eigenwert. Poren, Risse und Fugen, Abschürfungen und Spuren, die beim Guß entstanden sind, geraten in den Blick. Unmöglich, alles auf einmal zu erfassen. Wie Genzkens ältere Beton-Skulpturen mit ihren opaken Fassaden, so erschließen sich auch die neuen, lichten Arbeiten erst beim Gang des Betrachters um das Objekt herum. Als Lohn der Mühe winken jetzt allerdings keine Einblicke in den inneren Aufbau der Werke mehr. Statt dessen eröffnen sich Ausblicke auf den Raum, auf Wandflächen und…