Christian Huther
Ingeborg Lüscher
Retrospektive 1968 – 1992
Museum Wiesbaden, 28.3. – 25.7.1993
Mit Stricknadel und Ölfarbe schrieb er seine Texte auf Blech. Armand Schulthess, ein Schweizer Sonderling, brachte fast eine ganze Enzyklopädie auf ausgewalzten Blechbüchsen zustande, die er nach und nach an Bäumen aufhängte. Nur wenig von dem kruden Werk konnte nach seinem Tod 1972 gerettet werden, dokumentiert aber hat es die Künstlerin Ingeborg Lüscher, die ihn oft besuchte. Mit der Schulthess-Sammlung wurde sie 1972 zur Kasseler documenta eingeladen; nun bildet diese Spurensuche den Auftakt einer Retrospektive der Künstlerin im Museum Wiesbaden. Ingeborg Lüscher, 1936 in Sachsen geboren, lebt schon seit geraumer Zeit im Tessin, von der Schauspielerei aber kam sie erst Ende der 60er Jahre zur bildenden Kunst. Auch ihr künstlerisches Werk ist, wie der mit rund 70 Arbeiten bestückte Wiesbadener Rückblick von 1968 bis 1992 zeigt, ein ständiges Suchen nach neuen Ausdrucksformen und damit nach anderen Materialien. Lüscher pendelt nämlich, wenn man das so sagen will, zwischen Alchimie und Autobiographie.
Von der direkten Arbeit mit Feuer – wovon ihre “Invoxes” mit gebranntem Polystyrol zeugen – kam sie bald zu ihren “Verstummelungen”, verfremdete sie doch mit Unmengen von Zigarettenkippen fast alles: von Schuhen und Stühlen bis hin zu vier großen Fensterflügeln (1971/72, die in Wiesbaden aufgebaut sind. Für Lüscher ist diese bizarre Fülle von tabakgefüllten Sargnägeln ein “Abbild gerauchter Zeit als gelebtes Leben”. Mit Witz und einer gehörigen Portion Ironie baute sie 1974/75 in 22 Vitrinen “Das Herz auf dem Weg zur Werdung” auf. Lüscher sortierte Kieselsteine nach verschiedenen Formen und…