Infragestellung der Unverwechselbarkeit
Teil 2
von Roland Schappert
Lange Zeit galt eine unverwechselbare Handschrift als Kriterium herausragender Qualität künstlerischer Produktionen. Mit der weitgehenden Hinterfragung und Kritik individueller Stilmerkmale im Zeitalter kollektiver Selbstvergewisserungen und digitaler Errungenschaften verlieren Eigenheiten künstlerischer Gestaltungsweisen zunehmend an Bedeutung. Was bedeuten uns heutzutage individuelle Fähigkeiten im künstlerischen Schaffensprozess?
Im Folgenden werden drei von insgesamt sechs Aspekten herausgestellt, die mir für eine Infragestellung der Unverwechselbarkeit künstlerischer Produktionsweisen besonders relevant erscheinen. Die ersten drei Aspekte MITMACH-KREATIVITÄT, MACHT DER TECHNIK und ÖKONOMISIERUNG DES NEUEN erschienen in Bd. 290. Alle sechs Aspekte basieren auf gesellschaftlichen Entwicklungen und lassen sich nicht isoliert betrachten. Sie stehen in unmittelbarem Zusammenhang und haben ihren Einfluss in den letzten Jahren auf Kultur und Künste innerhalb der westlichen Demokratien zunehmend ausgebaut.
Grenzen der Individualisierung
In der Klassischen Moderne der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahmen die Produzierenden der Künste eine Sonderrolle ein. Im besten Fall öffneten sie dem Bürger (überwiegend hellhäutig, männlich, privilegiert sowie ausgestattet mit viel Zeit und Muße für die schönen Künste) die Augen für das weniger Offensichtliche. Kunstschaffende warben für das Ungesehene und Übersehene und priesen reichhaltige Alternativen zum Bestehenden im kurz getakteten Turnus der Avantgarden und im Angesicht der letzten Ismen an. Macht und Kunstgeschichte konnten sich offensichtlich noch auf letzte Verbindlichkeiten und Hauptströmungen der westlichen Kunstentwicklung einigen, bevor Spielarten der Postmoderne spätestens seit Ende der 1970er Jahre das Ende dieser Vorreiterrollen verkündeten. Der Kunstbetrieb huldigte zwar weiterhin dem sinnlichen und ästhetischen Luxus und predigte nebenbei die freiwillige Askese anhand von künstlerischen und lebensweltlichen Konzepten. Die Spielarten der…