Heinz Thiel
In Dubio Contra Rem
Werner Henkel, Achim Manz, Wulf Sternebeck
Kommunale Galerie, 7.5.-14.5.89
Zwei Glücksfälle waren Ausgangspunkt für das Nachdenken über den möglichen Unglücksfall: Ein bekannt gewordener Beinahe-GAU im Kernkraftwerk Stade an der Unterelbe und eine Ausstellungsmöglichkeit in den Räumen der Kommunalen Galerie Bremen. Ohne die Räume wäre ein Nachdenken nicht in eine visuell-narrative Form eingeflossen und ohne den objektiven ‘Glücksfall’, daß der Unglücksfall nicht eingetreten ist, wäre das Erschrecken nicht so tief gewesen. Erschrecken ist das Zeichen des Noch-einmal-davon-Gekommenseins. Mit diesem Gefühl – Davon-Gekommensein ohne Verdienst und ohne Möglichkeit, es in einem nächsten Fall steuern zu können – versuchten drei junge Künstler klarzukommen, indem sie sich die Aufgabe stellten, es in Bilder einzuschmelzen.
Die beunruhigende Nachricht über den Beinahe-GAU als Ausgangspunkt für das künstlerische Arbeiten enthielt zwei Elemente, die die Phantasie der Künstler anriß: der Hergang, daß ein Bleirohr in große Schwingungen geriet und entgegen allen physikalischen Gesetzmäßigkeiten nicht zerbrach, und die Imagination, daß im Falle des Bruchs bis hin nach Bremen alles Leben versengt worden wäre. – In der Installation der drei Künstler spielten dann Blei und ‘Haut’ eine (ent)sprechende Rolle.
Der Prozess der Visualisierung läßt sich verstehen als der Versuch eines Tribunals – der gewählte Titel weist in die Richtung. Der dem römischen Rechtsempfinden entspringende Satz “in dubio pro reo” (übersetzt mit ‘im Zweifel für den Angeklagten’) wurde von den Künstlern umgedeutet in “in dubio contra rem” – “im Zweifel gegen die Sache”. Rem ist aber auch zugleich eine Strahleneinheit. Verstehen muß man das wohl als: im Falle des Zweifels…