Thomas Wulffen
In die Tasche lügen
Zu berichten ist von zwei paradigmatischen Beispielen der Entgrenzung von Kunst. Der eine Fall fand statt in der Galerie Eigen + Art in Berlin: Angesagt war eine Diskussion mit Personen, die ihren Kleidungsbedarf mit Hilfe des Roten Kreuzes befriedigen. Dafür leeren sie bei Nacht und Nebel die öffentlich zugänglichen Kleidercontainer aus, die normalerweise für die Aufnahmen von abgelegter Kleidung vorgesehen sind. Vor einem willigen Publikum sassen hinter einem Tisch die mehr oder minder willigen Täter, die über Gründe und Hintergründe ihres Tuns informieren sollten. Offensichtlich mit zuwenig Information bezüglich der Veranstaltung und des Ortes versehen, sahen sich die Gäste des Abends einem Publikum gegenüber, das sich weitgehend dem erweiterten Kunstgenuss überliess. Natürlich konnten in einem solchen Kontext – der Galerie, dem Publikum – nicht die eigentlichen Fragen aufkommen, die einerseits Sinn und Zweck des Tuns der Gäste und andererseits Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung klären konnten. Denn am Ende klärte sich das ganze Verfahren soweit, dass Fronten nicht entstanden, weil man sozusagen vom gleichen Standpunkt aus argumentierte, wenn man von Argumenten in diesem Fall reden kann. Es ist halt chic, sich den diskreten Charme der neuen Ärmlichkeit aus den Spendeboxen des Roten Kreuzes zu besorgen und dafür noch den Segen eines gleichermassen schicken Kunstpublikums einzuholen. Offensichtlich ist die Kunst zu einem Zynismus fähig, der ihr lange Zeit versagt war. Sie war die Retterin des wahren, eigentlichen Humanismus, aber in der Folge einer stetigen Innovationsgier betritt sie Felder, die nicht ihre eigenen sind und auf…