Paul Kruntorad
Im Narrenturm
Österreichische Kunst nach 1945
eine Ideenskizze
Das legendäre Wien der Jahrhundertwende war für Karl Kraus die Versuchsstation des Weltuntergangs, für Carl E. Schorske ist es das Laboratorium der Moderne. Fünfzig Jahre später hatte sich das Laboratorium in eine Gummizelle verwandelt, in der Künstler und Intellektuelle zwar nach Belieben toben durften, aber niemandem lästig werden konnten. Es gab natürlich zwei Kategorien von Künstlern – solche, die sich in den dreißiger Jahren etabliert hatten, der Reichskunstkammer unverdächtig waren und auch nach 1945 keinen Grund sahen, die Grenzen des bürgerlichen Geschmacks zu attackieren. Dann gab es eine jüngere (aber nicht durchweg jüngste) Generation, die auf Grund vager Informationen über Entwicklungen im Westen die herrschende bürgerliche Ästhetik (angesiedelt irgendwo zwischen Biedermeier und Blut und Boden) nicht akzeptierten und dagegen, von durchaus verschiedenen Positionen aus, anrannten. Sie waren es, die als arme Irre galten – sie eroberten sich zeitweise kleine einheimische Spielwiesen, stritten um die wenigen Futtertröge, erlebten ihre Höhen-Räusche im Ausland, wo sie für ihre Österreich-Beschimpfung stets ein Publikum fanden, und kehrten dann zurück in die Ausnüchterungszelle der österreichischen Gesellschaft, um hier frische Aggressionen zu tanken.
In Österreich von einer Stunde 0 im Jahr 1945 zu sprechen, ist eine Alibi-Behauptung. Zerstört war die Wirtschaft, aber die sozio-politischen Strukturen waren intakt geblieben. Freilich, gegenüber der Vier-Mächte-Besetzung galt es für die Rechte wie für die Linke, den alten Streit zu begraben und gemeinsam vorzugehen. Dazu mußte man aber erst auf beiden Seiten einiges vergessen oder verdrängen: Die Rechte die Tatsache, daß sie eine österreichische Variante…