Venedig
Icônes
Werke aus der Pinault Collection
Punta della Dogana 02.04.– 26.11.2023
von Michael Hübl
Der White Cube als Ei: 1967 pellt sich Lygia Pape aus einer kubischen Lattenkonstruktion, die mit weißer Plastikfolie bespannt ist. Die brasilianische Künstlerin hat ihre Performance am Strand von Barra de Tijuca, Rio de Janeiro filmen lassen. Eine digitalisiert Fassung der Super-8-Aufnahmen zeigt, wie sie die Kunststoffhaut durchstößt. Der Titel der Aktion O Ovo (Das Ei) legt nahe, an ein Küken zu denken, das aus der abgekapselten Enge seines bisherigen Lebensraums ins Freie schlüpft.
O Ovo lässt sich als politisches Statement auffassen: 1964 hatte Brasiliens Militär geputscht, in der Folge waren die bürgerlichen Freiheitsrechte stark eingeschränkt worden. Daneben ist die Arbeit Ausdruck einer Emanzipation von den Maßgaben der europäischen konkret-konstruktiven Avantgarde. Zählte die experimentierfreudige Malerin, Plastikerin, Performerin und Poetin Lygia Pape doch zu den Gründungsmitgliedern einer neokonkreten Bewegung (Neoconcretismo 1959 – 1961), die wie andere Gruppierungen in Lateinamerika eine eigene, den multiethnisch geprägten kulturellen Hintergrund einbeziehende Moderne anstrebte.
In der Ausstellung icônes, mit der die Pinault Collection Werke aus ihren Beständen neu kontextualisiert, bildet O Ovo gleichsam eine Fußnote zu Papes Ttéia 1. Diese Installation, die bereits 2009 auf der 53. Biennale di Venezia gezeigt wurde, ist der vibrierende Blickfang im ersten Saal eines 19 Stationen umfassenden Parcours’: Goldfäden, die sich von der Decke zum Boden ziehen, schimmern als flirrende Lichtbahnen im Halbdunkel der Punta della Dogana und korrespondieren so mit einem von hinten beleuchteten Concetto spaziale von Lucio Fontana, das den Anfang der thematisch fokussierten Auswahl an Objekten, Installationen,…