CINDY SHERMAN:
»Ich wollte auch häßliche Bilder so attraktiv erscheinen lassen, daß man Lust hat, sie sich anzusehen«
EIN GESPRÄCH VON HEINZ-NORBERT JOCKS
Cindy Sherman, von Feministinnen zu einer Ikone politisch korrekter Frauenkunst erklärt, versteht sich selbst mehr als leidenschaftliche Spielerin, die aus dem Umgang mit ihrem Körper als Material und allerlei Requisiten Bilder entwickelt. Wie sie vorgeht, was sie abstößt und nervt, wogegen sie rebelliert, woher kommt, was sie macht, und worüber sie sich mokiert, wenn sie den Horror der Welt zitiert, darüber sprach sie mit Heinz-Norbert Jocks anläßlich ihrer traumhaften Retrospektive in den Hamburger Deichtorhallen (Mai-Juli 95), die nach einer Zwischenstation in Malmö zuletzt in Luzern zu sehen war.
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H.-N. J.: Gib mir ein paar biographische Hinweise! Das Verkleiden spielte, als du klein warst, eine große Rolle, nicht wahr?
C. Sh.: Ja, es war ein Spiel. Meine Mutter fuhr mich regelmäßig zu einem Second-hand-Laden, der zu niedrigen Preisen gebrauchte Bekleidung verkaufte, und ich suchte mir in der Regel besonders alte Kleider aus. Ich hatte eine ganze Truhe davon voll, so daß ich darin immer wieder herumstöberte und mal dies, mal das anzog.
Ich hörte, daß deine Familie es merkwürdig fand, daß du dich so verkleidetest.
Oh nein, meine Familie fand es nicht wirklich merkwürdig, und es hatte natürlich auch noch nichts mit Kunst zu tun. Zunächst war daran nichts Ungewöhnliches, denn es gehört mit zum Alltag kleiner Mädchen dazu, Kleider anzuprobieren. Verglichen mit Freundinnen, die sich verkleideten, war es jedoch merkwürdig, daß ich, obwohl ich auch hübsche Kleider besaß, in denen ich niedlich aussah,…