JÖRG IMMENDORFF:
»Ich will Bernstein«
EIN GESPRÄCH VON HEINZ-NORBERT JOCKS
Jörg Immendorff, 1945 in Bleckede geboren, Maler von Café Deutschland, demonstrierte 1970 mit der Mietersolidarität vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus, saß mit Felix Droese im Vietnam-Komitee, sympathisierte mit der KPD und der Liga gegen den Imperialismus. Zwar hat er sich von den bewegten Unruhejahren längst verabschiedet, aber der Drang, sich einzumischen, wenn es ihm nicht passt, ist geblieben. Über sein Verhältnis zum Geld und zur Geldkritik unterhielt sich mit ihm Heinz-Norbert Jocks.
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Heinz-Norbert Jocks: War, als Sie mit Ihrer Kunst anfingen, Geld ein Thema?
Jörg Immendorff: So, wie Sie mich befragen, klingt das, als erwarteten Sie von mir eine Art Soziologe oder Philosophie des Geldes. Dabei gehe ich doch von einem künstlerischen Ansatz aus. Was meine frühe, auch politische Periode so interessant machte, war, dass man einerseits eine treibende Kraft war und dass andererseits etwas mit einem gemacht wurde. Verstehen Sie? Das Geld spielte, wie für jeden nur in Bezug auf den Lebensunterhalt, für den man zu sorgen hatte, eine gewisse Rolle. Man kann sich, wie Sie es mit Ihrer Frage nahe legen, leicht über große kapitale Dimensionen Gedanken auf politischer Ebene machen. Beispielsweise über Umverteilung, aber seltsamerweise war das nur ein Nebenaspekt meines politischen Engagements. Ich hatte einfach nicht die klischeehafte Aversion gegen Bonzen und Kapitalisten, nur weil die Nobelkarossen fuhren, während ich mit meinem Mofa durch die Gegend düste. Mein Weg hin zu einem verstärkten politischen Engagement, das ideeller Natur war, entsprang dem Gefühl, dass in der Gesellschaft etwas fehlte. Klar malte ich Bonzen und nahm mir auch Klaus Staeck vor, der breite Schultern für die Arbeiterschaft machte, als herauskam, dass irgendein Gewerkschaftsbonze das Haus Schätzlein am Tessiner See besaß. Da flog die Neue Heimat wie eine Dynamitstange in die Luft. Mein Bild zu dem Thema 1974 war ganz seherisch, und alle hielten es für eine Kollegenschelte. Es war unüblich, dass ein Künstler in einem Bild einen anderen Künstler attackierte. Dass seine Parteinahme eine Schräglage hatte, offenbarte sich ruckartig. Auf einmal war nicht mehr unterscheidbar, wer mehr Bonze ist. Die bösen Kapitalisten? Oder wer? Selbst die oberen Herrschaften in der DDR entpuppten sich als Bonzen mit Refugien und Privilegien. Sie konsumierten Westwaren, während die Arbeiter sich mit den Ostprodukten zufriedenzugeben hatten. Solche Dinge interessieren einen sensibilisierten Menschen wie mich, der, wenn er darauf reagiert, auf künstlerische Mittel wie Zeichenstift, Tuschkästchen oder Ölfarbe zurückgreift.
Der Vietnam-Krieg war ja ebenfalls ein Thema, nicht wahr?
Ich kann mich noch gut an das Blatt Unterschreiben Sie hier gegen den Vietnam-Krieg erinnern. Auf Deutschlands, also den National-Farben schmierte ich einen blauem Adler und heftete das Bild in der Kunstakademie an die Außentür des Atelierraums Nr. 19. Dieser mit einem Aha-Erlebnis verbundene Akt war meine Antwort auf einen Artikel von Günther Grass im SPIEGEL. Da wollte ich mitmachen, was aber vollkommen absurd war. Den von Beuys, Polke und Palermo unterschriebenen Brief schickte ich nie ab, weil ich nicht wusste, wohin ich ihn schicken sollte. Alles in allem war das eine Schlüsselaktion für mich, danach alles seinen Lauf nahm. Weder das Geld-Problem noch der Marxismus-Leninismus standen für mich im Vordergrund, eher so ein Gerechtigkeitsimpuls in einer Situation, wo ein großes ein kleines Land verhaute. Nun ging es bei der Kritik am Kapitalismus vor allem um Machtfragen. Von Mao stammt der Satz: “Die Macht kommt aus den Gewehrläufen.”
Wie kommt man als KPD-ler an der Geld-Kritik vorbei?
Ich muss Sie korrigieren, ich war nie Mitglied und der Partei künstlerisch auch zu wenig linientreu. Man traute mir einfach nicht über den Weg, und die Probleme mit der politischen Gruppierung setzten dort ein, wo ich die Klassiker nicht so malte, wie das ZK es sich wünschte. Als Künstler wollte ich eben nicht dort ansetzen, wo alle ansetzten, und zudem wollte ich etwas tun, weil ich vieles ungerecht fand. Darunter das manipulative Element der Presse-Konzerne, die Stimmungen anheizten. Das Rudi Dutschke-Attentat war die unmittelbare Folge einer Hetzkampagne seitens dieser Meinungsmacher. Es ist ganz schwer, mich da festzulegen, denn ich hantierte auch damals nicht so schubladengemäß. Selbst in meiner hochpolitischen Zeit folgte ich stets meinem Bauch. Beim Büffeln der Klassikerschriften von Marx, Lenin und Mao pickte ich mir jeweils das heraus, was ich künstlerisch gebrauchen konnte. Das bewahrte mich davor, so ein Apparatchip zu werden. Stellen Sie sich vor, ich hätte mich dem total untergeordnet! Noch einmal: Ich habe immer Stoff für Bilder und darüber hinaus auch eine emotionale oder philosophische Heimat gesucht. Zuvor kam es zur Gründung der Lidl-Gruppe, die quasi meine Form war, und später dann zur Gründung der Mietersolidarität. Da konnten Menschen mitwirken und sich einbringen. Wir gingen von einem sozialen Ansatz aus, und so diskutierten wir über Mietfragen. Also der Geldbegriff lässt sich weder von der sozialen Dimension noch von der Frage trennen, wie man im Alltag zurecht kommt. Das Problem mit dem Geld war nicht nur darauf beschränkt, wo man dieses herbekommt, um Licht, Strom, Essen, Lustbarkeiten, Altbier, Einen-auf-den-Putz-Hauen oder Disco zu bezahlen. Die Partei sah es nicht gerne, wenn jemand ihre Angelegenheiten mit zu banalen, aber doch wichtigen Dinge wie Batterieaufladen vermengte. Es war geradezu unstatthaft, nach einer Vietnam-Komitee-Versammlung auszugehen. Also zog ich mir meine Silberketten, mein Lederhöschen und meine hohen Schuhe erst später an. Innerhalb der Partei war gar kein Platz für Spaß, Auftanken, Relaxen oder Lachen. Das hat sich wahnsinnig gesteigert. Ich bekam psychosomatisch bedingte Hautausschläge, wenn ich von der Liga gegen Imperialismus ins Gebet genommen wurde. Das waren verhörähnliche Situationen unter der Rubrik Selbstkritik, Kampf und Umgestaltung. Ich bin nach wie vor ein Anhänger derjenigen, die sagen, was sie wirklich denken. Dieses Prinzip muss trainiert werden. Letztendlich sollte man von jenen, mit denen man befreundet ist, erwarten können, dass man sich seriös über Dinge unterhält und auch kritisiert, was man tut. Zudem sollten Freunde auch etwas wegstecken und aushalten können.
Nun kommt man bei der Lektüre der Klassiker doch nicht an der Geldkritik vorbei Sowohl der Vietnam-Krieg als auch Rudi Dutschke sind ohne die Kritik am Kapital unerklärbar.
Das ist ja alles richtig. Natürlich entgehen mir weder die gesellschaftliche Widersprüche noch, was sonst noch läuft. Ich sauge alles um mich herum auf, weil ich stets auf der Suche nach Arbeitsmaterial bin. So Phänomene wie der plötzliche Zusammenbruch der DDR, wo viele mit der Entwicklung gar nicht Schritt halten konnten, interessieren mich. Selbst wichtige politische Kräfte wie die Sozialdemokratie, die damit nicht gerechnet hatte, wurden davon förmlich überrollt. Wie händeln wir die Situation? Seltsamerweise gab es kein Vorwärts-, kein visionäres Denken bezogen auf das, was nach der Wende zu erwarten war. Auch wenn das konservative Lager nicht sonderlich visionär war, so beharrte es immerhin darauf, dass Deutschland zusammengehört. Da tauchten ganz schnell so komische Wunschvorstellungen vom Schlaraffenland auf, ohne dass man über sich selbst kritisch reflektierte. Es war schwierig, den Menschen klar zu machen, dass sie, sollten sie einmal die DDR loswerden, auch ohne Gummistiefel in einen wenn auch anderen Morast geraten. Dabei muss der Mensch auch und gerade auf unser System vorbereitet sein. Das ist auch für Künstler nicht ganz einfach. Drüben in diesem Polizeisystem ging es brachialer zu, und es war verboten, gewisse Sachen zu malen. Hier konnte man alles malen, doch hatte die Freiheit eine andere Härte. Wie gesagt, ich hielt mich vor allem am humanitären Ansatz von Mar xis mus/Leninismus. An Mao schätzte ich auf großer Distanz und exotisch verbrämt, dass er Gedichte schrieb, dass er zum Langen Marsch aufbrach und in der Lage war, so ein Riesenreich zu einen.
Spielt die Geldfrage für Sie auch heute keine Rolle? Es fällt auf, dass Sie ja durchaus ein Auge für gesellschaftliche Widersprüche haben. Sie helfen Fifty-Fifty, der Zeitung für Obdachlose, und entwarfen eine Uhr, mit deren Verkaufserlös Geld- und Arbeitslose unterstützt werden. Wie sehen Sie da Ihr Verhältnis zum Geld?
Das ist ja alles ganz richtig, was Sie da sagen. Aber es kommt auf die Leute an, die mit dem Geld hantieren. Wie soll eine Gesellschaft ohne Geld funktionieren? Wir können ja nicht wieder mit Kartoffeln handeln; und auch Sie werden für das entlohnt, was Sie schreiben. Wie soll man das Geld abschaffen? Selbst in den realexistierenden sozialistischen Ländern wurde und wird mit Geld, also mit einem Symbol gehandelt. Mir fällt vor allem auf, dass der Künstler gebeutelt wird, wenn er eine Position innehat und Reputationen kraft seines Werkes gewinnen konnte. So sehe ich das. Keine Ahnung, wie künstlerische Tätigkeit zu besteuern ist. Das wäre mein Problem, das aber mit Kunst nichts direkt zu tun hat. Ich habe ja ohne Entgelt gemalt und male jetzt weiter. Auch wenn ich heute dafür Geld erhalte, so ist das nie die Triebfeder für mein Tun gewesen. Von daher ist es schwierig, das irgendwo und irgendwie unterzubringen. Wenn ich Geld habe, stecke ich es in Projekte oder Ateliers.
Apropos Fifty-Fifty, sind da weitere Aktionen geplant?
Ja, gerade bereiten wir für die Suppenküche in Düsseldorf ein Projekt vor, das sich Düsseldorfer Tafel nennt. Auf diese Weise will man dafür Sorge tragen, dass Obdachlose etwas zu essen bekommen. Aber es geht dabei auch um deren psychologische Unterstützung. Dass Leute in einer deutschen Stadt, in der Großunternehmen angesiedelt sind, aus Armut oder, weil sie keine sie unterstützende Begleitung haben, krepieren oder winters vor dem Breidenbacher Hof auf Heizschächten rumliegen, damit sie nicht erfrieren, das ist absurd und eine Tragödie.
Was liegt Ihnen so an Fifty Fifty?
Das hat sich als Konsequenz ergeben. Ich habe das verstärkt deshalb unterstützt, weil ich mir sagte: So, da wird etwas Vernünftiges gemacht, weil die Leute dort selber das Haus restaurieren, und ich wollte mit dem Erlös die Mobilisierung und Eigeninitiative fördern. Ab und an, wenn es mir besonders nahe geht und ich einen direkten Effekt wie bei Fifty-Fifty sehe, dann tue ich etwas. Aber bei vielem bin ich schlicht überfordert. Ich kann das soziale Leid mit dem Erlös meiner künstlerischen Produktion nicht ausmerzen. Meine Stossrichtung liegt anderswo. Mir geht es darum, dass die Leute via meiner Kunst prüfen, was mit ihnen los ist. Aber erst einmal schaue ich, was mit mir ist. Erst danach ist das öffentlich und bekommt vielleicht eine gewisse Offensivität. Aber erst einmal ist es ein ganz großes Stück privat. Wenn Kunst etwas beim Betrachter freisetzen kann, der sich dadurch vielleicht über sich selber klar wird, so ist das ein Effekt, den ich OK finde.
Zurück zum Steuerproblem, das Sie ansprachen, bitte!
Mit der Entlohnung, ja das stellt schon ein grundsätzliches Problem dar. Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass ich sozusagen als kultureller Botschafter im Auswärtigen Dienst fungiere und für diese Rolle auch noch massiv besteuert werde. Ich finde, die künstlerische Arbeit vor allem von arrivierten Künstlern sollte gefördert werden. Die sind ja nicht von heute auf morgen, sondern nach einem langen Kampf bekannt geworden. Was ist eigentlich ein arrivierter Künstler? Arriviert zu sein heisst, dass ich Jahrzehnte meinen Spinnereien, Visionen und Problemen in Form von künstlerischer Bewältigung nachgegangen bin.
Wie sehen Sie das mit den Preisen für Kunstwerke?
Je bekannter ein Künstler wird, um so mehr bin ich dafür, dass seine Bilder teuer sind. Schon damals, als sie noch billig waren, waren meine Werke viel mehr wert als das, was ich dafür bekam. Das ist sowieso klar, denn der Wert ist nicht pekuniär zu packen, sondern entspringt einem gesellschaftlichen Ritual, bei dem jemand seinen Respekt gegenüber meiner Kunst demonstriert, indem er sie möglichst teuer erwirbt. Dass der Staat daran fünfzig Prozent verdient, verstehe ich bis heute nicht. Würde er konkret etwas für Kunst und Künstler tun, so fände ich das korrekt. Meinem Galeristen zahle ich gerne die entsprechenden Prozente, weil ich weiß, dass er mit Fanatismus, Liebe, Sachverstand und kritischer Haltung versucht, meine Bilder da zu positionieren, wo es gut ist und die Leute an die Kunst auch herankommen. Das sehe ich ein. Dem Galeristen ist es gelungen, einige Menschen davon zu überzeugen, dass das Superkunst ist, was ich mache. Das setzt sich doch einem Vergleich aus, und es stimmt eben nicht, dass man den Erfolg machen und manipulieren und an allem irgendwie drehen kann.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Vita und Kunst?
Jede Künstlervita ist doch voll von individuellem Ringen und Gebrechen. Entweder taugen die Bilder von einem Künstler wie Basquiat etwas oder nicht. Was kümmert es uns am Ende, wenn das Bild da unverrückt hängt, die persönliche Tragik oder das Einzelschick sal von Künstlern wie Blinky Palermo bishin zu Pollock. Das sind alles tolle Jungs gewesen, die die Schönheit eines Moments wie in Bernstein eingefroren haben. So, und das ist viel wert. Über den Wert kann man streiten, und dafür gibt es die Börsen wie Southeby’s. Aber der innere Wert, die Erleuchtung und Begeisterung sind etwas Wertvolles, und ich will mich nicht auf einen Auktionswert festschreiben. Es ist mir ganz wichtig, und darauf beharre ich, dass mein Bilder, weil ich viel Feuer gebe, gar nicht teuer genug sein können. Das ist ja ein Aberwitz. Dagegen kann man sich nur mit Kunst wehren, indem man weitermacht. Nun will ich gar nicht großartig und auf allgemeine Weise über die Gesellschaft reflektieren. Wenn überhaupt, so nur aus meiner Perspektive und von meiner Warte als Künstler aus. Mir liegt nichts daran, immer so zu tun, als wäre ich der große, alle Systeme durchschauender Schlaumeier.
Nun ist Kunst ohne Geld ebenfalls nicht vorstellbar. In Ihrem Fall ist es ja so, dass Sie von der Malerei leben. Nun ist der Kunstmarkt ein ökonomischer Betrieb, aber in dem Kontext wird darüber so offen nicht geredet. Es wird darüber verfügt, aber stillschweigend. Woran liegt das? Daran, dass die Kunst als quasi heilig gilt?
Gut, wer bis heute nicht verstanden hat, dass der Kunstmarkt ein ökonomischer Betrieb ist und ein Galerist nur weiter aktiv sein kann, wenn er seine Prozente von Künstlern bekommt, der wird es nie begreifen. Von woher als aus dem Verkauf von Bildern als Mittler soll er das Geld sonst nehmen, das er braucht, um weiterzuarbeiten? Das finde ich vollkommen in Ordnung. Und die Kunst, sie ist in der Tat heilig. Das Schönste an der Kunst ist, dass sie, wenn sie gelingt, bleibt und dass man den Moment der Widersprüche, der Härte oder der sinnlichen Freude einfriert. Für mich sind die Reaktionen der Betrachter spannend. Es ist doch wunderbar, wenn Betrachter das Bild weiterdenken oder in dieses einsteigen.
Ich kann ja nach wie vor nicht glauben, dass das Geld nicht Ihr Thema ist, denn es ist doch kein Zufall, dass Sie sich in dem sozialen Bereich, wo Sie mit dem Geldproblem konfrontiert sind, engagiert haben. Oder?
Meines Erachtens reduzieren Sie den sozialen Bereich zu sehr auf das Pekuniäre. Selbst im Privaten, was bringt es einem, wenn man mehr Geld hat, als man ausgeben kann? Was soll daran interessant sein? Es gibt ja das Klischee, wonach Geld und Erfolg sexy machen. Erfolgreich sein heißt ja automatisch, mehr Geld verdienen, oder? Es liegt mehr an uns, wo wir unsere Prioritäten setzen.
Wo setzen Sie Ihre Prioritäten?
Da, wo ich mich motiviert fühle und neue Ansätze finde. Wenn ich beispielsweise mehrere gute Bilder habe oder merke, dass sie gelingen, so werde ich leichter, beschwingter und noch besser. Das ist also mein Genuss. Es gibt Menschen mit radikalen Existenzängsten. Je höher Sie karrieremäßig kommen, desto mehr steigert sich Ihre Angst vor dem sozialen Abstieg. Ich kann das gut nachvollziehen. Stellen Sie sich vor, Sie fallen im Alter von achtzig sehr tief! Das ist bestimmt hart, und ich habe keine Böcke, dass mir derartiges widerfährt. Mir wäre es recht, wenn ich meinen jetzigen Standard halten könnte. Ich brauche weder zusätzliche Domizile noch weitere Ateliers.
Nun ist Geld etwas Hochabstraktes und Geheimnisvolles, wie es Marx im Kapital darlegt.
Wir brauchen ja nur die Börse zu nehmen, die schwankt, kippt, fällt und steigt aufgrund von nicht einmal realisierten Neuigkeiten, also aufgrund von vagen Ankündigungen. Die Börsen-Zeichen-Sprache finde ich insofern faszinierend, als ich mich frage, warum bei dem Gewühle und den vielen Handzeichen nichts schief geht und ein paar Millionen nicht versehentlich in die falsche Ecke verschoben werden. Das ist eine Superperformance, tagtäglich. Auf dem Bild, hier in meinem Atelier, sehen Sie lauter blaue Männer, die ihre Sachen loswerden und miteinander über der börseneigenen Zeichensprache kommunizieren. Das Ganze scheint ja auf irgendeiner, nicht gerade wissenschaftlich oder rational bedingten Grundlage und nach psychologischen Kicks abzulaufen. Die Kurse fallen aufgrund irgendwelcher Gerüchte. Als platter Laie finde ich es spannend zu sehen, wie der Dax klettert und alles ohne direkten Bezug zu dem boomt, was in der Gesellschaft passiert. An den Arbeitslosenzahlen ändert sich dadurch rein gar nichts. Wenn ich nur an den von der Masse bereitwillig angenommenen und goutierten Nachmittagstalkshowfraß denke, so qualmt es da ja vor einer solchen Dumpfheit, die einem wehtut. Man fasst es gar nicht, und ich frage mich, wie Leute, die so etwas rund um die Uhr sehen, in der Lage sein sollen, politische Entscheidungen zu treffen oder sich für eine Partei oder ein Programm zu entscheiden. Wo bleibt der Anspruch oder der Versuch, zu reifen oder ein bisschen schlauer zu werden? Wo sind die pädagogischen Instrumente? Wo werden Misstrauen oder ein kritisch-analytischer Verstand trainiert? Das alles ist miteinander verknüpft, denn es können nur Leute fernschauen, die arbeitslos sind, nichts zu tun haben oder mit sich nichts anzufangen wissen. Nun ist das zwar keine brillante Kausalkette, aber sie interessiert mich. Hier die florierende Wirtschaft mit einer Regierung, die mit dem Steuersystem nicht zu Rande kommt oder bei unteren Sozialgruppen abschöpft, und dort die kollektive Dumpfheit. Mir wird das, wie das funktioniert immer schleierhafter. Mit der Wirtschaft müsste es auch der Bevölkerung gut gehen, oder? Die traditionellen Industriezweige verändern sich so rapid, dass sie die Leute gar nicht mehr unterbringen. Die Organisation der Arbeit ist so phlegmatisch, dass man lieber Arbeitslosengelder bereitstellt, was ja vollkommen ruinös ist. Diejenigen, die ohne Arbeit sind, können nichts einbringen und werden für nichts oder nur für bloßes Dasitzen entlohnt. Wo soll das enden?
Ist es nicht rätselhaft genug, um Bildideen dazu zu entwickeln?
Ich kann die sozialen Umstände nicht illustrieren, und das würde auch gar nichts bringen, obwohl ich ab und an gewissen Vorstellungen verfalle wie, einem bandagierten Arbeiter die Kunstmedizin zu reichen. Das sind wohl so Ohnmachtsanfälle und Ohnmachtsmanifeste, aber eigentlich sinnlos. Im Grunde kann ich nur an Energien appellieren. Wie die sich konkret umsetzen, darauf habe ich keinen Einfluss. Dass ich mir die Heerscharen von Arbeitlosen hinter meine Leinwände in der Absicht binden kann, sie vom Medientrog, also vom Billigfutter wegzulocken, daran glaube ich nicht. Wenn etwas in uns da ist, dann steckt in jedem auch genügend Widerstand gegen diesen Schwachsinn. Wer sich das freiwillig anschaut und antut, der ist selber schuld. Da ist wohl nichts mehr zu holen.
Apropos Marxismus!
Sie glauben doch nicht, dass, wenn Gysi Bundeskanzler wäre, es unserem Staat besser ginge. Was will der denn? Er, der den kapitalistischen Spielregeln nicht gut gewogen ist, kann doch nur getreu seiner Linie die DDR-Planwirtschaft wieder einführen. Was das gebracht hat, das haben wir ja gesehen. Was nicht heißt, dass ich die kapitalistischen Exzesse, den Irrsinn und den kapitalistischen Anarchismus befürworte.
Was Sie über die Börse sagten, ist vielleicht mit Abstrichen auf den Kunstmarkt und den Handel mit Bildern übertragbar, oder?
Es gab da mal eine Überproportionierung, so dass der Kunstmarkt aufgrund von wilden Spekulationen aus dem Ruder geriet. Aber irgendwo hat der Kunstmarkt eine Verbindlichkeit und ist keineswegs kriterienlos. Wenn man in dem System bleibt, so spielt eine Rolle, in welchen Museen man hängt und wo man ausstellt. Wie kommt man dazu? Das wird Ihnen ja nicht angereicht. Es gibt halt Leute, die sich mit Kunst intensiv befassen und eben nicht irgendeinem nebulösen Spekulationstrieb verfallen sind. Das sind Kenner, die sich auskennen und mit und für die Kunst leben. Daneben gibt es eine Schlagseite, wo etwas Fashionmäßiges wie in den 80ern explodiert. Wie das mit dem Hunger nach Bildern zustande kam, weiß ich gar nicht so genau. In die Tiefe gehend, stößt man auf ein Bedürfnis, mehr über menschliche Dimensionen nachzudenken, damit eben nicht alles so beliebig wird. Die Bilder, von denen ich spreche, und auch die Künstler, von denen ich etwas halte, sind von ganz andrer Natur als der Bildermist der Massenmedien. Das sind Menschen, die sich über Lebensfragen Gedanken machen und überlegen, wie sie etwas erschaffen können. Man kann dem damaligen Hunger nach Bildern insofern etwas Positives abgewinnen, als sich da ein Interesse an individueller Tätigkeit aussprach. Jetzt ist es wieder – und das geschieht ja weiß Gott nicht zum ersten Mal – an der Zeit, wo Malerei totgesagt und die Kunst adaptiert wird, was gesellschaftskonform ist, also der Gesellschaft, wie sie ist, entspricht. Deshalb die starke Präsenz der Medien. Aber die Sehnsucht nach tieferen Fragen wird sich immer wieder durchsetzen. Ich glaube daran, dass die Arroganz der Macht auch abgestraft wird.
Setzen wir einmal die Qualität einer Malerei voraus, für die sich ein Galerist interessiert. Das reicht ja nicht, um ihn auf dem Markt zu positionieren. Wie hat man sich den Prozess der langsamen oder schnellen Platzierung vorzustellen?
Ich verstehe schon, was Sie meinen. Aber es ist schlicht unmöglich, da irgendetwas zu drehen. Inszenieren wir mal so eine böse Geschichte. Jemand eröffnet eine Galerie, holt sich fünf Künstler und will sie an man oder frau bringen. Am besten eine Museumsausstellung, irgendwann einmal, und am besten in einer wichtigen Zeitung einen guten Artikel. Jetzt zieht er mit einem Köfferchen voller Geld durch die Lande und kümmert sich um Ausstellungen und Artikel, indem er Geld verteilt. Wie soll das gehen? Das ist absoluter Quatsch. So läuft das nicht. Das hört irgendwo auf. Selbst, wenn es so liefe, bräche es ein oder entspräche einer Flachheit. Selbst die, die sonst gerne nach flachen Gesetzen leben, haben ja gerade deshalb Sehnsucht nach etwas anderem, weil sie der Flachheit entfliehen wollen. Deshalb benötigen sie ein gutes Bild oder eine gute Skulptur. Sie greifen nach der Kunst wie nach einem Rettungsring, damit sie nicht total untergehen.
Man gerät ja in Widersprüche als Künstler mit weltweitem Erfolg. Die Betriebskosten steigen. Man hat ein großes Atelier, einen anspruchsvolleren Lebensstil, ja einen ganzen Apparat, recht hohe Grundkosten für Farben, Leinwand, etc., zudem Mitarbeiter, und das alles will monatlich bezahlt sein. Was passiert, wenn Einbrüche kommen, Verkäufe ausbleiben, etc.?
Zunächst noch ein anderer Aspekt: Ich glaube fest daran, dass der weltweite Erfolg, der eine große Seifenblase ist, gar nicht so auszumachen ist. Es sei denn, man trifft Freunde aus dem Ausland, denen man wirklich etwas bedeutet. Wenn man die Gelegenheit hat, Künstler in Mexiko, China oder Australien zu kennen, für die es aufregend ist, wegen der Werke, die sie berühren, zusammenzutreffen, dann hat die eigene Arbeit etwas gebracht. Zu sehen, dass junge Maler sich mit meiner Art der Malerei auseinandersetzen, das ist für mich ein Erfolgserlebnis. Zu dem angesprochenen Punkt, dass es einmal nicht so gut läuft, kann ich nur sagen: Dann muss man kappen und eine Zeitlang sich bescheiden. Das haben wir doch alle durchgemacht. Was soll man sonst tun? Ich kann niemanden zwingen, meine Bilder zu erwerben. Wenn man sieht, für wie viel Schrott, der der Gesellschaft wirklich nicht gut tut, Gelder zum Fenster hinausgeschmissen werden, da wäre es doch seitens der politisch Verantwortlichen angebracht, einmal zu sortieren und zu sehen, was der Kunst für einen lausigen Stellenwert eingeräumt wird, und zwar vom philosophischen Ansatz her. Es stellt sich doch die Frage, was ein gesellschaftliches Allgemeinwesen ausmacht, auch ästhetisch. Ich will jetzt nicht in die Standortdebatte einsteigen. Aber es gibt für alles Bezüge, und ich kann, was mir nicht gefällt, nicht einfach wegsezieren. All diese Dinge sind letztlich nicht mein Motor. Nach wie vor steht bei mir das Bild an oberster Stelle. Dafür lebe ich.