HARALD SZEEMANN:
»Ich liebe stets mehrere Dinge gleichzeitig«
EIN GESPRÄCH VON HEINZ-NORBERT JOCKS
Harald Szeemann, Jahrgang 1933, promovierter Kunsthistoriker, ganzjährig unterwegs von Atelier zu Atelier, ob in New York, London, Köln, Düsseldorf, Peking oder Moskau, und nun erneut Direktor der 48. Biennale von Venedig, ist nicht nur einer der namhaftesten Ausstellungsmacher und weit über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt, sondern auch so etwas wie ein Gesamtkunstwerkutopist. Ja, ein Ultraindividualist mit Solschenizyn-Kopf existentialistischer Prägung und ein Vollblutaktivist, der immer neue Pläne schmiedet in der Hoffnung auf die Dochnochwirkung von Utopien, deren Ende förmlich herbeigeredet wurde.
In Zürich, wo ich ihn im Kunsthaus traf, nahm er sich, eine Zigarette nach der anderen rauchend, viel Redezeit, bis die Müdigkeit ihn nach vier Stunden heimsuchte. Wenn er spricht, hängt er fast jedem zweiten seiner im Schweizer-Tonfall bedächtig gesprochenen Sätze immer noch ein “Oder?” an, so als erwarte er den Zuspruch seines Gegenübers. Vor einigen Jahren danach befragt, was einen Kunsthistoriker befähige, internationale Ausstellungen zu inszenieren, antwortete er bezeichnenderweise: “Erstens darf er nicht zu sehr Kunsthistoriker sein. Zweitens muß er den Vorwurf, nicht wissenschaftlich zu arbeiten, gelassen ertragen, denn nur Subjektives wird eines Tages objektiv. Und drittens darf er wirklich keine Angst davor haben, alles selber zu machen, von der Vision bis zum Nagel. Das bedeutet, er muß Zeit investieren. Das Ganze ist nur eine Sache investierter Zeit.”
Mit dem Namen von Harald Szeemann sind hohe Erwartungen verknüpft, weshalb die Kunstwelt, sobald er ihr eine neue Ausstellung beschert, stets genauer hinschaut und ihn nicht selten attackiert. So war…