Ich bin der Achille Bonito Oliva der Kunstkritik
Nils Röller sprach mit dem Kurator der Biennale Venedig, Achille Bonito Oliva
N. R.: Kritik bedeutet für Sie, mit zwei Schriftarten zu jonglieren. In welchem Verhältnis stehen diese beiden Schriften zueinander?
A.B. O.: Ich glaube, daß zwei Ebenen der Schrift die Tätigkeit des Kritikers bestimmen: eine essayistische Schrift und eine ausstellende Schrift. In der ausstellenden Schrift realisiert der Kritiker mit Hilfe von Kunstwerken einen Gedanken in einem dreidimensionalen physischen Raum. In dem, was sich essayistische Schrift nenne, begegnet der Kritiker statt dessen sich selbst und den Phantomen der Kultur, die er auf den Schultern trägt. Er stellt sich so in ein einsames Verhältnis zur Ideengeschichte. Seine Gedanken materialisiert er auf der weißen Seite, die vor ihm liegt und die später vom Verleger reproduziert wird. Das ist an einige Leser gerichtet, die dann einen individuellen Kontakt mit dem theoretischen Körper des Kritikers haben.
Wie ist das Verhältnis der beiden Schriftarten zueinander?
Es ist klar, daß zunächst die theoretische Arbeit stattfindet. Mit ihr nähere ich mich der Ebene der Ausstellung, die eine andere Sprache produziert. Die Ausstellung ist keine mechanische Übersetzung der Theorie, sie ist keine Gebrauchsanleitung, sondern eine Grenzüberschreitung, eine Art Duell, bei dem der Kritiker etwas hervorbringt, das ich kollektives Ready-made nenne. Eine Ausstellung ist ein kollektives Ready-made, besonders dann, wenn man sie in nicht-musealen Räumen organisiert. In beinahe 120 Ausstellungen bin ich bisher diesem Phänomen des kollektiven Ready-mades nachgegangen. Die Aufstellung des Kunstwerkes in Verbindung mit der Architektur vergangener Epochen bewirkt einen Kurzschluß der zwischen…