Hermann Pfütze
Hundert nackte Frauen
»Vanessa Beecroft, Performance 55«
Neue Nationalgalerie, 7./8.April 2005
Wochen vorher schon auf Plakaten und Briefkarten mit schönen, nackten, oben rothaarigen, unten rasierten Models voyeuristisch irreführend angekündigt, geriet das Unternehmen des Vereins der Freunde der Nationalgalerie dann zu einer Art Reihenuntersuchung mit Oben-ohne-Tauglichkeitstest: Als ob die beiden umtriebigen Akteure des Vereins, Museumsdirektor Peter-Klaus Schuster und Kunstanwalt Peter Raue, mit einem Oberklassen-Event Unterklassen-Späße übertrumpfen wollten wie die des Skandal-Radiosenders Kiss FM, der im Dezember 2004 unter dem Titel “Titte melde dich” die “tollste Titte Berlins” gesucht hatte. Damals meldeten sich 65 junge Frauen, die “sich gerne zeigen und gerne im Mittelpunkt stehen”. Die unter 18-Jährigen hatten Einverständniserklärungen ihrer Mütter. Die “Titten” wurden im Radio angepriesen und waren im Internet zu sehen.
Hier ging es seriöser zu und die Motive der Frauen waren gut bürgerlich: 350 Euro Honorar, Teilnahme an einer prominenten Kunstaktion, ein von der Künstlerin signiertes Poster der Performance und eine gewisse narzisstische Zeigelust, die heute zum normalen, ja erwarteten Verhaltensrepertoire gehört. Als gestört gilt eher jemand, der sich nicht überwinden kann, nackt zu posieren. Über Zeitungsannoncen wurden Frauen zwischen 18 und 65, blond, dunkel und rothaarig, gesucht und schließlich hundert von Vanessa Beecroft ausgewählt. Die Frauen mussten sich zweimal präsentieren, am 7.April exklusiv für den Verein der Freunde und die Presse, am 8.April der Öffentlichkeit. Am ersten Abend wehte ein Hauch von Frivolität, als einige Damen im Publikum ihre Beine zeigten, um anzudeuten, dass sie auch ohne Strumpfhosen hier mithalten könnten. Die hundert Frauen trugen nämlich alle, mit…