Claes Oldenburg:
»Hinter meinen Bemühungen steht der Wunsch, auszutesten, wann etwas anfängt, Kunst zu sein«
Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks anlässlich der Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle, 25.2. – 12.5.1996
Bonn, im März. Auf Irritation aus, suchen Claes Oldenburgs Skulpturen gleichwohl die große, von Bonn allerdings unterschlagene Wirkung. Wider Erwarten trist, fast gelangweilt, geradezu lustlos und indifferent ist der dortige Blick auf seine “Anthologie”. Wie heiter-irritierend, geistreich, aktuell, ja zwingend wirkte er dagegen in Washingtons National Gallery, von wo die Ausstellung nach New York ins Guggenheim Museum weiterzog.
In der Bundeskunsthalle dagegen, wo mehr als zweihundert Werke aus immerhin vierzig Jahren, darunter Modelle, Zeichnungen sowie Objekte, eingeflogen worden sind, nimmt man Claes Oldenburg lediglich zur Kenntnis, als enthalte seine Kunst nichts, was heute noch begeistert. Dem Besucher der Schau, die eine Erwartung aufbaut, wird abverlangt, von müder, wenn nicht gar fehlender Inszenierung abzusehen, damit sich etwas von der bis zum heutigen Tage widerspenstigen Aura erkennen läßt. Es scheint, als sei da nur von Interesse, so trocken wie unengagiert über “Pop-art” à la Oldenburg zu informieren. So unterrichten Filme über Aktionen aus den Sechzigern, während die auf den Einfluß von Dubuffet und de Kooning verweisenden Relikte von Environments und Happenings fehlen. Ohne eine Idee zu entwickeln, wie die große Halle aufzuteilen ist, damit sich darin das Werk als immer noch gültig behauptet, haben die Aussteller Skulpturen so wahl- wie lieb-, gar gefühl- und beziehungslos zusammengepfercht, daß beinah die gesamte Sinnlichkeit in leeren Zwischenräumen verpufft. Der Zauber der Metamorphosen von Dreidimensionalem ist dahin, der Geist subversiven Humors entflohen, die Qualität der Quantität gewichen, der Abgesang auf Pop-art vollzogen. So jedenfalls drängt es sich einem wider besseren Wissens auf. Dabei stimmt der Schein mit dem Sein keineswegs überein. Denn bis heute kreieren Oldenburg und seine Frau Coosje van Bruggen, die seit 1977 mit an der Konzeption und Ausführung von Projekten in großen Maßstäben für öffentliche Gebäude und Anlagen gleichberechtigt beteiligt ist, alles andere als eine museale, der Langeweile Vorschub leistende Kunst, deren Wiederholungszwang ihr die Überlebenschance nimmt.
So sprunghaft ist die Fantasie, daß niemand, selbst Claes Oldenburg nicht, voraussehen kann, wohin sie eilt. Seine Lieblingsbeschäftigung ist keineswegs die öde, endlos fortsetzbare Fabrikation perfekter Falsifikate. Auch behauptet der 1929 geborene Sohn eines in den USA tätigen schwedischen Diplomaten nicht, daß von nun an Kunst sei, was vorher keine war. Der derbe Spaß, den er sich mit unseren Konsum-, Verzehr- und Wohngewohnheiten erlaubt, zielt weit über reine Verulkung hinaus. Wenn er uns auf mit Speck, Salat und Tomaten belegte Sandwichs, mit Gewürzgurken verzierte Hamburger, gebackene Kartoffeln oder auf süßbunte, von Decken an Schnüren herunterbaumelnde Rieseneistüten Appetit macht, so legt er es nicht darauf an, das Original bis in Details, ja mundgerecht zu kopieren. Nein, er erinnert nur grob an äußere Erscheinungsbilder, pocht auf haptische Qualität, hebt den provisorischen Anteil von Oberflächen hervor, bedient sich dazu realexistierender Formen, die in ihrer Imitation wie aus Farben modelliert, oft abstrakt ausschauen. Auf dem Holzstuhlsitz, über dessen Rückenlehne ein weißes Gipshemd mit roter Krawatte hängt, liegen eine Uhr, ein Portemonnaie und andere Habseligkeiten wie Attrappen, die nichts anderem als der Anschauung Material liefern. So sehr wir die Anspielung auf die Lockungen unserer Warenwelt verstehen, so klar ist, daß nichts davon verwend-, da alles nur sichtbar, daß nichts davon eßbar, da alles nur magenunfreundlicher Schein ist. Der Sehsinn hört auf, den Geschmackssinn zu alarmieren.
Die Anziehung, die von Unbrauchbarem und Unverzehrbarem ausgeht, hat sich also verändert. Die von Oldenburg erzwungene Distanz gilt dem sinnlich zu Erfahrenen, dem skurril Objekthaftem, das sich gegen uns abschirmt. Ein ärmelloses Hemd, dessen Weiß von roten wie blauen Flecken überzogen und mit einer aufgemalten Krawatte strukturiert ist, erscheint wie eine mit Gips ausgefüllte, an und für sich existierende Drahtbüste. Weder ein Kopf noch ein Körper, der dieses Kleidungsstück trägt, wird vermißt. Der imaginierte Fetisch, der sich auf unsere Alltagswelt beruft, wird einem malerischen Duktus unterworfen, der, weil dieser sich ins Abstrakte vortastet, auf den Zeitgeist von action painters reagiert, um ihm eine wunderbare Absage zu erteilen.
Im Fall von Oldenburg haben wir es nie mit spontanen Selbstbekundigungen zu tun. Das Kalkulierte ist seine eigentliche Domäne. Dadurch, daß er Torten mit Eiscreme oder mit allerlei Leckereien angereicherte Vitrinen so artifiziell-unecht darbietet, betont er, daß es ihm nicht um so etwas wie Verführung per Simulation geht, eher um Poetisierung. Er langt ins Volle des banalen Geschmacks, verarbeitet dessen obskuren Objekte, nimmt Süßem den Geschmack. Festes verkehrt er in Hartes, während Winziges vergrößert wird, damit Monumentales minihaft erscheint. Er doktert an Bekanntem herum, findet wie Salvador Dalí mit seinen aufgeweichten Uhren Gefallen daran, Unmögliches möglich zu machen, und verzichtet mit seinen “soft sculptures” auf definitive Formen. So etwas wie Dingerweichung reizt ihn, wenn er einen Lichtschalter einem aus rotem, mit Dacron und Leinwand ausgestopftem Vinyl hergestellten Kissen angleicht, wie 1964 geschehen. Wie ein Sack, dem die Luft ausgegangen ist, wirkt das ewigglänzende Weichplastikklosett. Je nachdem, woraus Claes Oldenburg, ob aus Schaumgummi, Vinyl, Masonit, Pelzimitaten, Leinwand, Leder, Holz oder aus Pappmaché, seine Ventilatoren, Toiletten, Waschbecken, Stadtpläne von Manhatten, Badewannen, Leporellos oder Waagen anfertigt, verändern sich mit dem Stoff, aus dem Dinge gebastelt sind, nicht nur deren äußere Gestalt, sondern auch deren assoziativer Inhalt. Das Mobiliar von Räumen, die wir Menschen bewohnen, wird inspiziert, und da haben verformbare Materialien etwas von einer in sich zusammenfallenden Haut, der kein Skelett Halt bietet. Jedenfalls wird der libidinöse Reiz erhöht und die Lust angeregt, die reiche Textur von Oberflächen mit dem Auge zu lesen. Die Frage, ob Oldenburg die Isolierung von Dingen anstrebt, läßt sich eindeutig verneinen. Klar, daß er keineswegs beabsichtigt, uns Zahnbürsten, ausgelöschte Streichhölzer, angeknabberte Apfelkitschen oder aufrecht stehende Wäscheklammern als von Menschen losgelöste Erscheinungen zu servieren. Keine direkte Kluft zwischen uns und Dingen soll installiert, nur eine Verzögerung in der Wahrnehmung erzielt werden. In einen Raum der Assoziationen überführt, erhält Dinghaftes seine verlorene Ambivalenz zurück. Dessen fröhliche Magie entfaltet sich jenseits der Gebrauchswerte. Die Art, wie manipuliert wird, versteht sich denn auch als Attacke gegen den Irrglauben des Menschen, die Welt sei dauerhaft beherrsch-, bzw. besitzbar.
Weder die Riesengabel, die mit Fleischkloß und Spaghetti an der Wand lehnt, noch die zur Brücke verbogene Klarinette oder der überdimensionale Löffel, auf dem sich eine rote Kirsche entgegen den Gesetzen der Gravitation hält, laden dazu ein, benutzt zu werden. Auch das Notizbuch, so zerrissen, daß es an einem Draht wie an einem seidenen Faden hängt, ist eigentlich zu entnutzt, um noch aufbewahrt zu werden. Doch plötzlich zeigt es sich von seiner skulpturalen Seite. Selbst der Abfall, der sich mehrt, wird hier überraschenderweise recyclet. Peripheres wird bedeutsam. Ein Fahrrad, so groß wie für einen Riesen gebaut, ist so tief vergraben, daß lediglich ein Lenkradteil mit blauer Klingel, eine Sattelhälfte, eine Pedale und ein winziger Rest des bemantelten Rads aus dem Erdboden schauen. Das Ganze, weil in Einzelteile zerlegt, erscheint wie ein zu bespielendes Rätsel, das im Katalog nur dokumentiert wird. Ein rotes, ebenfalls nur katalogisiertes Messer, dessen Weinflaschenöffner und scharfe Klingen herausgeklappt sind, ist mit Rudern versehen, so daß unweigerlich die Erinnerung an auf Galeeren gekettete Sklaven aufscheint.
Nie formt Oldenburg einfach nur nach, stets verfremdet er. So Entwertetes erfährt eine Aufwertung, die nicht allein vom Sinnenreiz, sondern auch von der Verdinglichung lebt, deren Ursprung in der Bedeutungsverschiebung liegt. Es stellt sich übrigens erst gar nicht die Frage, ob sein Hang, zu vergrößern oder zu verkleinern, die Nutzlosigkeit von allem zu behaupten und dem an sich Steifen ein organisches Outfit zu verpassen, damit zu erklären ist, daß er unseren Ekel schüren will. Denn der anthropozentrische Charakter wird weder verwischt, noch ausgeblendet oder verdammt, sondern präsentiert, dem Mehrseitigen zuliebe. So zeugt das “Bedroom Ensemble” von 1963, dem ein Dimensionssprung erspart blieb, von so erkalteter Atmosphäre, daß die Lust auf Sex wie von Tod infiziert erscheint.
Oldenburg, der Leben keineswegs mit Kunst verwechselt, versteht sich als schwellenkundiger Sammler und profunder Spezialist im Einsatz von Materialien, der weiß, daß am Übergang zwischen beiden Bereichen sich Verwandlungen vollziehen. Im “Mouse Museum”, in der großen Halle untergebracht, und im “Ray Gun Wing”, von Oldenburg wie ein “dreidimensionales Notizbuch” geführt, wird offenkundig, welch taktiles Verhältnis er zu Massenprodukten eingeht. Auf Straßen, in Auslagen und sonstwo findet er, woran sich sein Auge entlangträumt, eine seltsame Archäologie des Belanglosen. Was sich in den Regalen seines Ateliers über Jahre ansammelte, jenseits von Zusammenhang und Geschichte, das legte er 1979 sorgfältig sortiert in Glasvitrinen in zwei schwarzen Containern aus, darunter marode Schutzhandschuhe, angerostete Metallplättchen, Zigarettenkippen, Plastikbananen, billige Kämme oder Spielzeugpistolen, Schund, Abfall und Kitsch. Sowohl massenhaft Peripheres und häßlich Unpopuläres erhalten eine dauerhafte Bleibe, so als garantiere eine derartige Einlagerung, daß sich andere Bedeutungen finden lassen, sobald die alten entlaufen sind. Die Kollektion, verglichen mit Werken, die folgen, erweist sich als Inspirationsquelle und Ort, der jenes Zeug en miniature beherbergt, aus dem er seine “Ghosts” und “Monuments” ableitet. Ausgedrückte Zigarettenkippen mutieren zu zerknauschten Formriesen, während eine viel zu groß geratene Säge, deren Zähne stumpf sind, sich wie eine Treppe aus- oder zusammenklappen läßt. Eine ausgequetschte Tube steht dagegen wie auf dem Kopf auf seinem zahnpastaweißen Inhalt, der sich wie eine Schlange aufrichtet, um die Buchstaben “C” und “O”, also die Initialien des Künstlers zu bilden. Ein kurioses Selbstporträt, deutbar als ironischer Kommentar zum Verständnis des sich selbst ausbeutenden Künstlers, der seine Produkte mit Zahnpastainhalt vergleicht, also nicht überschätzt.
Die Übersetzung von Dingen in andere Bedeutungszustände per Materialtausch und geschicktem Spiel mit Proportionen reizt Oldenburg mehr als deren aggressive Denunziation. Wenn er sich an die Arbeit macht, uns Dinge vorzusetzen, deren Zweck wir vor allem kennen, weil wir sie darüber definieren, so tut er dies nicht aus purer Lust an Formen oder aus Liebe zu dem, was schön stimuliert. Deren bloße Anwesenheit als Form an sich hat ihm noch nie genügt. Statt als Anti-Künstler zu agieren, der, da er bei Marcel Duchamp gelernt hat, Kunst ad absurdum führen will, wächst er mit der Rolle des auf Dinghaftes reagierenden Poeten über sich hinaus. Dabei ist er zunächst einmal ein exzellenter Zeichner, der sich mit Stift auf den Gipfel vogelfreier Fantasie befördert, bevor er das auf Papier Erträumte in materialisierte Versionen verwandelt. Dabei erweist er sich als jemand, der Kunst nie als Ausstülpung einer im spontanen Akt sich entladenden Subjektivität mißversteht. Dort, wo er Gebäude in Form von Taschenlampen oder Ferngläsern vorschlägt, widerspricht er dem Pathos, indem er den Esprit des Alltäglichen entdeckt. Gewöhnliches wird dadurch realer. Auch wenn Oldenburg längst den Aufzug zur Beletage angesehener Museen bestiegen hat, so ist doch das, was er vor uns entfaltet, von hoher Aktualität. Bis zur Realisierung beinhaltet das von ihm Erzeichnete ein utopisches Surplus. Darin ist seine Kunst stark, bis heute.
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H.-N. J.: In jungen Jahren interessierten Sie sich für Literatur, insbesondere für Gedichte. Welchen Einfluß nahm das auf Ihre Kunst?
C. O.: Tatsächlich gibt es da ein gewachsenes Interesse. Ich habe mich immer schon für Literatur sowie für das Schreiben begeistert und es auch studiert. Aber ich stelle da keine Ausnahme dar, bin kein Sonderfall, denn vielen Künstlern ergeht es da nicht viel anders. Ich habe versucht, ein paar Gedichte zu schreiben, als ich in den 50ern nach New York kam. Die meisten sind nie in Buchform erschienen, nur einige wenige sind hier und da abgedruckt worden. Danach habe ich nie wieder welche, aber dafür andere Texte wie z.B. “A Statement” verfaßt. Schreiben ist neben dem Theater, dem ich mich des öfteren widmete, sicherlich Teil meiner Kunst und ebnete mir schließlich den Weg dahin, visuell zu arbeiten. Das ist meine Ausdrucksform. Schreiben ist nicht von vornherein an Inhalte gebunden, wobei es natürlich in der Literatur vor allem um diese, aber auch um Form und Buchstaben geht. Titel, die ja auch etwas Literarisches verkörpern, werden von mir sorgfältigst ausgewählt, insofern sie die Bedeutung von Werken und deren Absichten verstärken. Eine Art literarisches Denken stellt eine Voraussetzung dar, um zu einem Thema vorzustoßen. So gesehen, vermuten Sie zurecht, vieles sei in meiner Arbeit von Literatur mitinitiiert.
Stimmt es, daß in Ihrem Denken Jean-Paul Sartre und Samuel Beckett eine Rolle spielten?
Eine eher periphere, ich nahm diese Schriftsteller zur Kenntnis, aber sie hinterließen keine wirklichen Spuren. Gewiß, Beckett hatte großen Einfluß auf die späten 50er und die frühen 60er in der New Yorker Theaterszene. Von seinem Geist floß einiges ins Theater ein und wirkte sich sicherlich auch auf die amerikanische Literatur aus. Es wurden mehr seine Stücke als seine Prosa diskutiert. Ich finde übrigens, daß sein Werk nicht besonders literarisch ist. Zusammengefaßt, weder in Sartres noch in Becketts Bann bin ich jemals geraten.
Wie definieren Sie “Pop-art”?
“Pop-art” ist ein schwer zu hantierender Begriff, da sehr vage. Letztendlich neigt, wer verwertet, was das Gesicht einer modernen Stadt ausmacht, bereits zur “Pop-art”. Sein Hang zu dort verwendeten und dort produzierten Materialien rückt ihn in diese Nähe. Bei manch einem Künstler geht das viel weiter und in einen Standpunkt über. Eine gewisse Kälte gegenüber dem Material ist da festzustellen. Da Gegenstände, auf die ich anspiele, dem Koloß Stadt entspringen, und meine Werke darin eingebunden sind, also die Stadt als Kulisse dient, weisen diese unendlich viele Verbindungen zur Pop-art auf. Daran besteht kein Zweifel, aber ich bin mir auch sicher, daß meine Werke privater, persönlicher als die der Pop-Artisten sind. Zudem ist auch mein Standpunkt ein anderer, da bei mir alles autobiographischer Prägung ist. Also, es läßt sich kein Schema ausmachen, sondern vorwiegend Inhalte. Mir kommt “Pop-art” oft zu schematisch vor, obgleich sie Materialien der sie umgebenden Kulturform aufgreift und verarbeitet, insbesondere die Reproduktion. Vieles von dem Gezeigten ist nicht original, sondern reproduziert.
Ich sehe Sie als ein Künstler auf der Schwelle, der die Übergangszone zwischen Straße und Kunst besetzt. Dort werden Entscheidungen getroffen, was von der Straße zu Kunst wird. Oder?
Hinter meinen Bemühungen steht der Wunsch, auszutesten, wann etwas anfängt, Kunst zu sein. Für gewöhnlich finde ich mich in einer Nicht-Kunst-Situation wieder, darauf wartend, daß Unkunst zu Kunst mutiert oder zu Kunst heranreifen könnte. Auf Avenues flanierend oder durch Geschäfte stöbernd, sehe ich Dinge und überlege, ob und wie etwas angemessen als Kunst präsentiert werden kann. Ich versuche so etwas wie eine Ordnung in diese Situation zu bringen. In die Szene einer Straße, einem Extrembeispiel für Chaos, etwas Ordnung hineinzubringen, fällt schon deshalb nicht leicht, weil die Waren in den Geschäftsauslagen so furchtbar häßlich sind. Sie da herauszureißen, um sie zu schönen, ist eine schwierige Geburt. Gemessen an dem, wie ich Dinge in ihrem tagtäglichen Kontext vorfinde, stellt es eine ungeheure Herausforderung dar, daraus etwas zu bilden, das sich leichter aufnehmen läßt, also gefälliger im Sinne des Gefallens ist, auch im geistigen Sinne. Menschen, ich eingeschlossen, haben den Drang, sich derartiges anzusehen, was dazu führt, daß ich etwas verändere, um es ansehnlicher zu machen. Aber nicht so, daß ich Fundstücke aufgreife und manipuliere. Eine Ausnahme bildet allerdings das “Mouse-Museum”, das Fundstücke beherbergt. Die Objekte, auf die ich reagiere, wurden dagegen stets irgendwie verändert.
Wie nehmen Sie Veränderungen vor?
Objekte lassen sich auf vielfältige Weise verändern. Eine Möglichkeit ist, Waren, wie in einem Geschäft zu kaufen, oder andere Dinge, wie sonstwo auftreibbar, aus ihrem Kontext zu befreien, wie ich das im Fall der Toilette aus Zeitungspapier erreicht habe. Aber auch die Wahl eines anderen Maßstabs verwandelt die Objekte auf ungeahnte Weise. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Objekte die Reise durch die eigene Seele antreten zu lassen, um ihnen so zu mehr Ausdruck zu verhelfen. Die Palette der Möglichkeiten, Sinn zu verändern und zu stiften, ist unendlich. Manchmal reicht es aus, Objekte sich selbst zu überlassen, manchmal wiederum sind stärkere Eingriffe nötig, um etwas zu bewirken. Es ist ganz unterschiedlich. Die Straßenobjekte sind kraft der Psychologie und Fantasie stark verändert worden. Anders ausgedrückt, sie haben etwas Expressionistisches angenommen, wohingegen Werke wie “The Bedroom” in Los Angeles realistisch erscheinen, obgleich sie es de facto nicht sind. Die Veränderung im Schlafzimmer hat etwas mit Projektion zu tun. Mir liegt daran, den Objekten, die wir zu kennen meinen, dadurch etwas Überraschendes zu verleihen, daß sie in eine Kunstform überführt werden. Nun, was will ich damit sagen? Daß sich in allem, was ich anpacke, meine persönliche Ausdrucksform artikuliert.
Wenn Sie etwas von draußen oder sonst irgend etwas aus unserem alltäglichen Umfeld aufgreifen, geht es Ihnen nie um so etwas wie Repräsentation, während ein Paul Cézanne den Montagne Sainte-Victoire auch deswegen malte, weil er ihn so wiederzugeben hoffte, wie er ihn sah, nicht wahr?
Also, ich mache niemals von dem gesehenen Objekt Gebrauch. Wenn es auf mich zukommt, geht es nicht um seinen Gebrauchswert, sondern um Veränderung. Ich erschaffe es neu, mache es funktionslos. Meine wichtigste Aufgabe besteht darin, Objekte zu defunktionalisieren. Nehme ich mir z.B. eine Säge vor, so nicht, ohne sie so zu brechen, daß sie funktionsuntüchtig wird. Sie kann dann nur noch so genutzt werden, wie von mir vorgestellt. Ich muß sicher gehen, daß eine Säge nicht mehr sägt und ein Telefon nicht mehr klingelt, usw. Da außer Betrieb, werden die Objekte abstrakt. Manche sind so veraltet, daß sie kraft dieser Eigenschaft und weil man sie nicht mehr kennt, abstrakt geworden sind. Man weiß nicht einmal mehr, wozu sie einmal dienten. Das entspricht wiederum einer Veränderung, wenn sie sich auch zwangsläufig dadurch ergeben hat, daß sie einfach in einen anderen zeitlichen Zusammenhang gerückt sind. Die Schreibmaschine z.B., von der sich keine in der Ausstellung, wohl aber eine Abbildung im Katalog befindet, ist heute ein in diesem Sinne zeitlich überholtes Ding, weil von fast keinem mehr benutzt. Ja, die meisten Kinder haben so etwas noch nie gesehen. Für meine Generation waren Schreibmaschinen ganz gewöhnliche Gebrauchsgegenstände, während die Heranwachsenden darin fast fremde Erscheinungen erblicken, ein kurioses Phänomen. Also, allein dadurch, daß die Funktion von etwas unbekannt ist, wird es zu einem antiquierten Abstraktum, eben zu einer Antiquität. Meiner ästhetischen Intention entspricht, repräsentierte mit echten Objekten zu vergleichen, um deren Differenz festzustellen. Ich spiele damit, daß etwas wie echt ausschaut, sich aber als falsch erweist, und man sich dann aber immer noch nicht so sicher ist, ob stimmt, was man gesehen hat. Diese Gratwanderung gefällt mir.
Einige Objekte haben etwas von einer Zeichnung, andere etwas von einem Gemälde. Täusche ich mich da?
Grundsätzlich verwende ich unterschiedliche Techniken. Ich neige nicht dazu, mich einzugrenzen, indem ich mich ausschließlich als Bildhauer, Zeichner oder etwas anderes betätige. Nein, ich liebe die Verbindung aller Bereiche und deren gegenseitige Befruchtung. Wenn ich eine Skulptur realisiere, so in Farbe. Wenn ich Bilder male, dann verkehre ich sie ins Dreidimensionale, während Zeichnungen meistens von allem etwas an sich haben. Mir ist die Trennung von Techniken zuwider, weil ich es nicht mag, mir Beschränkungen aufzuerlegen. Es ist, wenn man mag, ja möglich, auf jeden Untergrund zu zeichnen und alle Techniken miteinander zu verknüpfen.
Wenn ich mir genauer besehe, was Ihre Fantasie gebiert, so verfestigt sich der Eindruck, daß es die Freiheit des von der Hand geführten Stifts ist, die alles ermöglicht. Auf einem Papier, das mit Stiften bezeichnet wird, scheint grundsätzlich alles machbar und möglich zu sein. Die Hand, die den Stift führt, realisiert, was die Fantasie vorgibt, so unmittelbar wie möglich, jenseits von falschen Kompromissen. Der Realität, die ausspart, und deren Machbarkeitssinn wird auf dem Papier widersprochen. In Zeichnungen ist die Freiheit grenzenlos?
Vieles beginnt in der Tat mit einer Zeichnung. Wie Sie sagen, repräsentiert sie das Noch-nicht-Existente. Wer etwas Neues erfinden will, muß zeichnen. Deswegen nimmt bei mir alles per Stift seinen unwiderstehlichen Anfang. Die Zeichnung zeigt ein Objekt für gewöhnlich im leeren Raum, was dazu führt, daß es dreidimensional dargestellt wird. Von daher ist Zeichnen eine elementare Tätigkeit sowie ein schöpferischer Akt. Ohne Zeichnung als Basis meiner Arbeit wäre ich nicht fähig, den Inhalt meiner Fantasie sinnlich darzustellen. Gelegentlich besitzt eine Zeichnung bereits an sich eine Bedeutung, und manchmal brauche ich sie für die Entwicklung einer Skulptur. Mit dem Stift kann ich meiner Vorstellung so direkt wie möglich nachgehen, ja mir überhaupt etwas vorstellen. Zeichnen ist ein so freies Medium, daß wirklich alles möglich scheint. Jeder nur denkbare Maßstab ist durchführbar, jeder Platz, jede Situation, jedes Ereignis vorstellbar. Allem, was Ihre Fantasie hergibt, läßt sich so ein Bild verleihen. Zeichnungen sind unglaublich effizient.
Wie sieht es mit dem utopischen Aspekt Ihrer Kunst aus?
Weiß nicht, was sich darüber sagen läßt. Kunst, wie ich sie verstehe, meint durchaus etwas, das ich mir wünsche, aber noch nicht existiert. Womit ich mich befasse, beinhaltet so etwas wie Hoffnung und in der Zukunft Liegendes. Kunst strebt eine wünschenswerte Welt an. Zudem glaube ich, daß man in einer Ausstellung wie hier in Bonn von Objekten umgeben ist, die mit großer Sorgfalt ausgewählt wurden, weil sie als das Beste vorgestellt werden sollen, was jemand geschaffen hat. Wer sich seinen Blickweg bahnt, der merkt, wie da notwendigerweise eine utopische Atmosphäre aufkommt. Mit der Auswahl verbindet sich natürlich der Wunsch nach Dauer und Beständigkeit, danach, daß das Vorgestellte nachbebt, auch später noch. Gemeint ist natürlich eine andere Beständigkeit als die, wie sie in der Realität existiert. Die wirkt oftmals enttäuschend. Aber im Reich der Kunst, wie von der Ausstellung vorgestellt, ist dies anders. Selbstverständlich ist es das, was sich jemand wünscht, der seine Zeit darin investiert, eine Ausstellung zu machen. Der ganze Ehrgeiz in den drei Wochen, die es dauert, bis alles stimmig aufgebaut ist, besteht darin, die Ausstellung perfekt umzusetzen. Im Fall meiner Arbeiten ist es eh schwierig, das zu einer Schau zusammenzufügen. Am Ende eines solchen Prozesses stimmt es einen am glücklichsten, wenn es gelungen ist, auf begrenztem Raum eine perfekte Welt zu inszenieren. Es gilt dann, dazu einzuladen, den Garten der Perfektion zu betreten, um zu sehen, wie die Gäste darauf reagieren und was sie empfinden, da sie alles ganz anders erleben als man selbst.
1969 machte “The lipstick” Furore, eine Skulptur, deren symbolischer Gehalt ins Auge sticht. Erläutern Sie mir die Idee dazu?
Daß es dazu kam, eine solche Skulptur zu verwirklichen, hing damit zusammen, daß die Studenten der Graduate School für Architektur eine Kommission bildeten in der Absicht, eine Skulptur für den Campus der Universität auszusuchen. Zu dieser Zeit war es verboten, da überhaupt etwas aufzustellen, weswegen man sich erst recht dazu entschloß, dort eine zu plazieren. Wie Sie wissen, war dies die Zeit politischer Kundgebungen und immer stärker werdender studentischer Proteste gegen den Vietnamkrieg, und man hatte dort, an den Universitäten, das Gefühl, daß beabsichtigt wurde, den Studenten, deren Alltag nicht allein darauf beschränkt war, zu büffeln, an den Kragen zu gehen. Um so mehr wuchs die Unruhe. Jedenfalls plädierte die Studentenkommission für mich, und so war klar, daß ich meine erste große Außenarbeit realisieren konnte. Ich stellte mehrere Modelle vor, wozu auch “The lipstick” gehörte, von dem sich übrigens das Modell in der Ausstellung befindet. Anfangs war die Arbeit vieldeutig. Sie schaut aus wie ein Lippenstift, mit dem sich Liebe oder Erotik assoziieren läßt. Der untere Teil, dieses Ketten- oder Raupenfahrzeug, ähnelt dagegen einem Panzer, weswegen der Lippenstift dann auch an eine Rakete oder Kanone erinnert. Vieles sprach dann auch dafür, daß da das Thema Krieg abgehandelt wurde. Zusammengenommen, stellte das Objekt für manch einen den Gegensatz von Krieg und Liebe oder von Krieg und Frieden dar. Im Bewußtsein damaliger kontroverser Zeitstimmung schuf ich dieses Objekt als eine Art Plattform, von wo aus über jene strittigen Fragen diskutiert werden konnte, die den Studenten damals so auf den Nägeln brannten. Ursprünglich hatte ich noch die Idee, eine Pumpe anzuschließen, so daß es möglich gewesen wäre, den Lippenstift allmählich aufzurichten. Das hätte wahrscheinlich die Aufmerksamkeit noch mehr verstärkt. Währenddessen sollte ein Student eine Rede halten, bis der Lippenstift wieder in sich zusammenfiel. Danach wäre dann ein anderer an der Reihe gewesen, und wieder wäre der Lippenstift aufgeblasen worden. Aber da uns das Geld fehlte, um das in die Praxis umzusetzen, wurde ein starrer, von Anfang an aufrechtstehender Lippenstift gebaut. Er, im Grunde ein provozierendes Symbol, stand also immer. Die Studenten plazierten ihn direkt neben dem Haus des Universitäts-Präsidenten, im Zentrum eines Kriegsdenkmals, mitten auf dem Campus. Allein der Akt, dieses kontroverse Stück dort, an einem heiligen Ort aufzubauen, wo überhaupt keine Skulpturen erlaubt waren, galt bereits als politischer Akt. Da niemand zuvor gefragt wurde und die Studenten es von sich aus entschieden, das zu tun, war die Überraschung groß, als die Skulptur von ihnen getragen und dort abgesetzt wurde. Die ursprüngliche Idee, einen Motor einzubauen, damit sie wie von selbst fahren kann, wurde ebenfalls aus Kostengründen fallengelassen. Nachdem die Skulptur fast sechs Monate dort gestanden hatte, wurde sie schließlich nach und nach auseinandermontiert. Manch einer nahm sich nämlich irgendein Teil als Souvenir mit nach Hause. Eines Nachts habe ich sie dann ganz abgeräumt und für lange Zeit weggeschlossen, bis sie restauriert und nun als Kunstwerk angesehen wurde.
Ihr Symbolgehalt hat sich mit der Zeit verschoben?
Ja, sie führte quasi zwei Leben. Zuerst als politisches Symbol, dann als Kunstwerk. Sie hat folglich etwas von ihrer politischen Relevanz eingebüßt, wenn auch nicht ganz, denn es gibt immer noch Leute, die sich auf sie als etwas Politischem von noch aktueller Bedeutung beziehen. Dazu ein Beispiel: Kurz nach Aufbau der Skulptur wurden erstmals auch Frauen in Yale zugelassen. Damit verbindet sich also der Beginn der Koedukation. Kein Zufall, daß der Lippenstift denn auch als Symbol dieses Ereignisses angesehen wird. Außerdem wurde über die Skulptur häufiger auf Tagungen der Frauenbewegung gesprochen. Also, kurz und gut, wiederholt hat man sich in einem politischen Sinne auf meine Arbeit bezogen. Und das, obwohl sie heute eigentlich mehr eine Skulptur und damit auch ein Zeichen ihrer Zeit darstellt. Alles in allem: eine lange Geschichte. Ja, ein weites Feld.
Verstehen Sie Kunst als Kampf gegen den Tod?
Es ist konventionell, anzunehmen, Kunst wäre der Sterblichkeit gegenüber resistent, erhöbe die Unsterblichkeit zum Thema. Ja, sie hielte jene Menschen in Ehren, die verstorben sind, und jene Dinge, die bedroht, gar verschwunden oder verloren sind. Diese Idee habe ich einmal thematisiert. Zu Beginn der 60er Jahre widerstrebte es Künstlern, die ich kannte, wenn jemand daran glaubte, Kunst sei für die Ewigkeit geschaffen. Einige dachten, Kunst sollte nur für den Augenblick sein und gehörte dann weggeschmissen. Das ist bisher wohl auch deshalb noch nie geschehen, weil die meisten in der Kunst so etwas wie eine Alternative zur Sterblichkeit sehen. Deswegen wurden Werke aus den frühen 60ern, darunter z.B. die Werke von “The Street”, anstatt sie allmählich verfallen zu lassen, sorgfältig restauriert. Sie befinden sich immer noch unter uns. Mir liegt an dem Thema, wonach Kunst als Leben gegen Kunst als Tod ausgespielt wird. “The bedroom” z.B. symbolisiert für mich das Grab oder den Tod. Das Kommerzielle ist eingefroren. Sowohl die von Lampen erzeugten Schatten, aber auch die an Wänden hängenden Bilder sind so weit vom Leben entfernt, daß sie nur noch an das Verlorene erinnern. Wir haben es mit einer eingefrorenen, besser eingeschweißten Welt zu tun. Alles besitzt eine organische Form, aber die ist eingefroren. Wenn ich ausgerechnet ein Schlafzimmer benutze, um das auszudrücken, so wird dadurch der Sachverhalt stärker, ja krasser hervorgehoben. Ein Schlafzimmer hat insofern etwas von einem Grab, weil die Art, wie wir uns darin aufhalten, wenn wir ruhen, nicht weit weg von der Lage der in einem Grab zusammengekauert liegenden Toten ist. Mit Schlafzimmern assoziieren wir gleichzeitig Sex, also Leben. Ein eigentümlicher, provokanter Kontrast ergibt sich daraus, daß ein Schlafzimmer zu einem Grab mutiert, und umgekehrt. Das ist so ein imaginäres Spiel mit Leben und Tod. Das “Mouse-Museum” stellt ebenfalls ein Grab, wenn auch anders, dar, da darin Objekte vergangener Zivilisation aufbewahrt sind. Einige sind beinahe verschwunden, andere auf dem Weg dahin, sich aufzulösen. Sie sehen, der Tod ist neben dem Leben bei mir durchaus ein Thema von hoher Bedeutung. Mit den “Weichskulpturen”, die sich wegen des Materials ständig verändern, simuliere ich etwas lebendig, das tot ist. Es scheint, als seien diese Dinge aus Haut und Knochen, und jedesmal, wenn ich beispielsweise “Das weiche Schlagzeug” aufbaue, sieht es anders aus. Das widerspricht dem landläufigen Begriff von Kunst, wonach diese ewig gleich auszuschauen hat. Darüber hinaus nutzt sich diese Skulptur ab, da sie zusammensackt und aus ihrer Positionierung kippt. Sie verschwindet. Von Kunst wird erwartet, daß genau das nicht passiert.
Mit dem, was Sie gerade ausgeführt haben, nehmen Sie die Antwort auf eine Frage vorweg, die ich jetzt stellen wollte. Vor den Weich-Skulpturen entsteht der Eindruck, daß Sie Objekten Leben einhauchen wollen. Sie betonen den lebendigen Aspekt.
Es stimmt, was Sie sagen. Doch, um es nicht ironisch zu meinen, weiß ich doch zu sehr, wie unmöglich es ist, selbst Leben zu stiften. Meine Möglichkeiten sind darauf beschränkt, es zu repräsentieren. Mehr geht nicht. Es verhält sich wie mit dem Umgang mit der Schwerkraft. Viele meiner von der Fantasie erträumten Objekte behaupten, schweben zu können, aber in Wirklichkeit tun sie es nicht von sich aus. Es ist nötig, sie aufzuhängen. Wäre ich in der Lage, sie schweben zu lassen, wäre ich ein Zauberer, der die Sterblichkeit besiegt hätte. Aber leider übersteigt das meine menschlichen Kräfte. Insofern hat das mit der Verlebendigung eine ironische Bewandtnis. Die “Weich-Skulpturen” sehen zwar so aus, als seien sie lebendig, sind es aber nicht; und die schwebenden Objekte sehen zwar so aus, als schwebten sie, tun es aber nun wirklich nicht. Das sind so meine Zaubertricks, für die es Erklärungen gibt.
Wie sieht es mit dem Humor Ihrer Kunst aus? Verbindet sich mit ihm eine subversive Haltung gegenüber dem politischen System?
Zunächst einmal glaube ich an die vom Humor ausgehende Kraft, weil sie uns hilft zu überleben. Niemand weiß eigentlich genau, was das ist: Humor. Aber er scheint den Menschen doch mehr als nur wichtig zu sein, zu lachen. Den besten Stoff für Humor bringt sicherlich die Natur hervor, denn nur ihr gelingen, solange sie schöpferisch tätig ist, zwei Dinge, die einerseits verschieden sind, dabei aber andererseits völlig gleich aussehen. Das ermuntert uns zu lachen. Dieser Humor ist wesentlich besser als der, den sich Menschen ausdenken, wenn sie sich Witze erzählen. Ich initiiere Humor per Formvergleich. Einige Zeichnungen belegen das. Dann gibt es noch den ironischen Humor, über den wir bereits sprachen, und die Unfähigkeit vieler Menschen, einen bestimmten Punkt zu transzendieren. Einen möglichen Ausweg aus der Misere, davon zu träumen, über einen bestimmten Punkt hinauszugelangen, ohne es zu schaffen, bietet der Humor. Ohne ihn wäre man dazu verdonnert, unglücklich zu sein. Meine schwebenden Objekte stecken voller Humor. Doch das einzige, was ich über ihn zu sagen weiß, ist, daß er gut ist, wenn er kein billiger Witz, sondern der Situation des Menschen entsprungen ist und in Beziehung zu Realität und Natur steht.
Ihr Humor hat nichts mit dem vom Fernsehen inaugurierten und von Neal Postman kritisierten zu tun. Ist da ein Hang zur Veränderung auszumachen?
Es stimmt, was Sie andeuten. Grundsätzlich liebe ich Humor, auch weil ich bei aller Skepsis Optimist bin. Viele meiner Objekte sind zwar nicht, wie bereits gesagt, echt, aber optimistisch. Das ist wohl das, was Sie damit meinen, wenn sie vom Utopischen reden. Meine Objekte strahlen etwas von dem Glauben an Veränderung aus, selbst wenn diese noch so irreal erscheint. Es ist sogar so, daß das Phantastische humorig anmutet. Nehmen wir z.B. das Projekt mit dem großen Ball, der die Park Avenue hinunterrollt. Die von mir dazu angefertigte Zeichnung basiert auf einer realistischen Situation, denn unter der Park Avenue verläuft die Untergrundbahn. D.h., der Ball könnte von der 96. Straße, dem höchsten Punkt der Strecke, den ganzen Weg bis zur 42. Straße und von dort in den Untergrund hinunterbrettern, um wieder, mit der Bahn heraufgefahren, erneut hinunterzurollen. Einerseits wäre es wunderschön, zuzuschauen, wie ein Ball nach dem anderen die Park Avenue hinunterrollt. Andererseits wäre das auch gefährlich. Denn was macht man auf der Park Avenue? Man muß, um mit dem Wagen links abzubiegen, warten, und zwar in der Mitte der durch einen Grünstreifen gekennzeichneten Straße. Man hofft darauf, daß die anderen Autos anhalten, um einen durchzulassen. Wenn nun der Ball hinunterrollt, was zwar schön aussieht, aber gefährlich ist, nimmt die Gefahr zu. Nun bin ich mir nicht sicher, ob Sie das als humorvolle Situation bezeichnen würden. Aber ich weiß, das Ganze würde sich zu einem Drama zuspitzen, und da zählt der Humor der Hilflosigkeit, der wunderschön ist. Das ähnelt Naturereignissen wie Stürmen, Hurricans z.B., die zwar schön, aber tödlich sind. Darin liegt schon etwas Ironisches. Oft entwickelt sich eine Idee nicht so weit, bleibt im Ansatz ihres Humors stecken. Alles in allem ist der Humor etwas Ernstzunehmendes, insofern er kosmisch zu werden versucht und sich über menschliche Lebensbedingungen, usw. bestimmt.
Inwieweit ist Ihre Rede vom Sex-Appeal der Objekte von der Lektüre Sigmund Freuds oder Jean Baudrillards beeinflußt?
Ich habe nicht soviel gelesen, wie Sie offensichtlich vermuten. Aber die Idee der Doppeldeutigkeit, der versteckten oder unterdrückten Bedeutung, wie bei Freud angelegt, finde ich bedeutend. Oft haben Objekte einen doppelten Sinn. Wir alle mögen gute Witze, die in der Regel auf einer wahren, signifikanten Diskrepanz im Leben beruhen. Ich gehöre einer Generation an, die an die Ambiguität von allem Möglichen glaubt. Aus einer Sache kann eine andere erwachsen, allein aufgrund der Ähnlichkeit von Formen. Man versucht, etwas zu schaffen, und gelangt dabei zu einem ganz anderen Ergebnis. Nun, ich weiß nicht, wohin Sie von diesem angesprochenen Punkt aus kommen wollen. Es sind ja philosophische Fragen, die Sie stellen.
Zurück zu dem Aspekt des Lebendigen: Worin sehen Sie den Unterschied zwischen Ihren Performances und Ihren Objekten?
Die Performances befassen sich mit Objekten, und wie ich schon vorhin sagte, benutze ich keine Fundsachen, und wenn nur bis zu einem bestimmten Grad. Nur dort und im “Mouse Museum” habe ich sie zugelassen. Es ist kein Zufall, daß Performances auch als Theater der Objekte bezeichnet werden. Die Statik einer Performance hat zum Ziel, die objektive Welt zu behandeln. Die Betrachtungsweise gleicht der einer Skulptur mit dem kleinen Unterschied, daß bei Performances der Zeitfaktor keine zu unterschlagende Rolle spielt. Objekte können sich so zwischenzeitlich weiterentwickeln, sich verändern, zirkulieren und definitiv mit Menschen in Zusammenhang gebracht werden. Die Menschen, die als Akteure an Performances teilnehmen, neigen dazu, als Objekte oder Maschinen betrachtet zu werden, die gebraucht werden, um die Objekte zu bewegen. Es gibt keinen Dialog und es herrscht Stille, die genauso konkret wie gesprochene Worte oder Objekte sind. Da ist zudem die Musik, die, von einem Schallplattenspieler kommend, so gegenständlich gemacht wird. Am vollkommensten eignen sich dazu alte Schallplatten mit 78 Umdrehungen pro Minute, die eine gewisse Dreidimensionalität besitzen. Eine Performance verfügt über keine Geschichte. Ein Thema oder mehrere, ob formale, erzählerische oder persönliche, können ihr zugrunde liegen. Einfach alles ist möglich. Es konnte, wie in früheren Performances geschehen, in denen Lucas Samaras mitspielte, durchaus auch passieren, daß ein Darsteller seine eigenen Themen einbrachte. So ließ ich Lucas Samaras mit seinen eigenen Visionen häufig machen, wozu er Lust hatte; und so passierten ganz unterschiedliche Dinge auf der Bühne, die zueinander in keiner Beziehung standen. Der einzige Zusammenhang bestand darin, daß alles zur gleichen Zeit auf der gleichen Bühne stattfand. Es gibt da keine Entwicklung. Den Abläufen, die sich wiederholen, ist der tiefe Raum gemeinsam. Einer schiebt sich vor einen anderen. Wesentlich ist, daß das Theater ein mit Skulpturen angereicherter Raum, eben ein vom gewöhnlichen sich völlig unterscheidendes Theater der Objekte ist. Die früheste Form, das Happening, war noch primitiv. Später trifft man auf jemanden wie Robert Wilson, von dem eine raffiniert-opernhafte Variante stammt. In seinen ersten Performances waren kaum Menschen, dafür aber bewegliche Objekte beteiligt. Zum Teil stellt die Performance, wie sie Ende der 50er, Anfang der 60er entwickelt wurde, eine Annäherung ans Theater dar. Die Künstler, die sie praktizierten, waren Individualisten. Von Person zu Person unterschied sich das Theater in seiner Machart. Demnach kann nicht behauptet werden, daß das alles Happenings waren, und auch nicht angenommen werden, mit diesem Begriff sei alles abgedeckt. Denn jedes steht für sich, muß demnach auch für sich genommen untersucht werden. Z.B. Robert Whitmans Art, Theater zu machen, unterschied sich stark von der eines Jim Dine. Beide Weisen sind wieder völlig anders als meine Theaterform. Es ist schwierig, das so plastisch wie möglich zu erklären.
Was halten Sie von Filmen, die das konservieren?
Auch Filme aus der Zeit können Ihnen dieses Gefühl nicht so richtig vermitteln, weil sie meist nur schwarz-weiß, zusammengeschnitten und in ihnen nur eine Auswahl von Bildern getroffen werden, so daß Sie es immer nur mit einem bescheidenen Ausschnitt zu tun haben. Nie bekommen Sie ein Gefühl für die vergehende Zeit. Handlungen können da über einen langen Zeitraum hinausgezögert werden, während die Zwischenzeit vergeht, ohne daß irgend etwas passiert. In Filmen läuft aber alles relativ schnell ab. Sie können zwar einen Eindruck von den Performern vermitteln und einige der Ereignisse wiedergeben, aber sie geben nie das Gefühl wieder, das live ausgelöst wird. Außerdem wurde mein Theater innerhalb eines echten Ortes ausgetragen. Normalerweise ist Theater an einen festen Raum gebunden, und die Zuschauer bildeten einen Teil davon. Manchmal fanden meine Aktionen auch über, hinter ihnen oder um sie herum statt. Wesentlich war also der Punkt, daß da alles wie im realen Leben war. So lief das auch bei “The Store” ab. Leute betraten den Laden, um darin die Performance im Bewußtsein zu erleben, daß sie sich in einem Laden und nicht im Theater, also an einem gewöhnlichen Ort New Yorks befanden. Von draußen drang der Lärm der Stadt ein, aber auch die Geräusche der Bewohner des Hauses waren zu hören. Eine Menge ästhetischer Aspekte ist bei dieser besonderen Theaterform zu berücksichtigen, um sie ganz zu verstehen. Später, als Coosje van Bruggen, Frank O. Gehry und Germano Celant die Performance in Venedig durchführten, fügten wir eine Menge anderer Dinge noch dazu, z.B. den Dialog, viele Sprechrollen und Kostüme, wodurch daraus so etwas wie eine Commedia dell’arte wurde. Das ganze wuchs also eher zu etwas Opernhaftem heran, das eine Commedia dell’arte ergab. Das Grundprinzip blieb dennoch unverändert. Die Objekte spielten die Hauptrolle, während die Menschen dazu da waren, Objekte herumzuschieben. Ja, sie waren selbst Objekte im Raum.
Die Tragödie der Performance wird am Ende deutlich, das ihren Tod beinhaltet. Er zeigt an, daß eine Performance ein lebendiger Körper ist, der vergeht. Nichts ist wie im Film wiederholbar, alles besitzt die Vor- wie Nachteile der Geburt.
Genau hier haben wir das Spiel mit Leben und Tod. Anfangs hatte ich die Idee, der ganze Abend, den man auf einer Performance verbringt, sollte selbst ein Teil davon sein. Mit dem Moment sollte sie beginnen, wo man Freund oder Freundin abholt, um zu dieser Performance zu fahren. Man steigt in den Bus, setzt sich hin, geht vorher vielleicht noch essen, um auf das erwartete Ereignis eingestimmt zu sein, dem man dann beiwohnt. Danach, wenn alles vorbei ist, zieht man weiter in eine Bar, um noch etwas zu trinken, bevor man heimgeht, um zu schlafen. Das alles sollte zur Performance dazugehören. Die Vorführung, in der Mitte angesiedelt, wäre demnach lediglich ein Bestandteil von allem übrigen. Das so zu sehen, war ein wichtiger ästhetischer Gesichtspunkt zu der Zeit. Das Theater sollte dem wahren Leben möglichst nah kommen. Es sollte so wirken, wie wenn einer auf der Straße tanzt, schauspielert, usw. Eben echtes Theater. Es wäre eine bemerkenswerte Verschiebung der Perspektive, alles, was geschieht, vom Standpunkt des Theaters zu betrachten. Wenn Sie dann jemanden auf der Straße sehen, der etwas sagt, rennt, sich etwas ansieht, ein Loch gräbt oder ein Auto dabei beobachtet, wie es über irgend etwas drüberfährt, wenn Sie also mit ganz alltäglichen Situationen konfrontiert werden, so nehmen Sie das völlig anders, distanzierter wahr. Innerhalb des Theaters werden Situationen, Szenen oder Wahrnehmungen isoliert wie repräsentiert, wodurch sie Ereignisse werden, welche wie Objekte sind. Anders ausgedrückt, die Objekte und Skulpturen sind Theaterereignisse, dem städtischen Leben entnommen, das einen umgibt.
Geht es Ihnen darum, Früchte und anderes zu konservieren, anstatt sie zu konsumieren?
Sie meinen in Form der Repräsentation? Es gibt sowohl Repräsentationen von Früchten, bevor sie gegessen wurden, aber auch, während sie gegessen wurden, und in dem Zustand danach. Alle Etappen der Konsumierung wurden von mir festgehalten, so auch die Beziehung von innen und außen. Es verhält sich so, als ob Sie in einem Restaurant auf Ihr Essen warten und es dann, anstatt es zu essen, erst betrachten. Sie sind in dem Augenblick nur Augenzeuge, der darin, daß ihm etwas Eßbares serviert wurde, und darin, daß es etwas anzuschauen gibt, ein Ereignis oder eine Skulptur erblickt. In Restaurants habe ich viel gezeichnet, wiederholt Mahlzeiten. Zunächst einmal, wenn sie gebracht wurden, dann, während jemand davon aß, und schließlich, wenn alles fast aufgegessen war. Es gab da mal eine Zeit, als Coosje, meine Frau, wegen allergischer Reaktionen nicht so viel essen konnte. Wann immer wir ausgingen, zeichnete ich Bilder von dem Essen, das sie nicht zu sich nehmen konnte, und sie sammelte diese Zeichnungen. Sie ersetzten das ungegessene Essen. Derartige Veränderungen, wie sie auch in der Natur vorkommen, wecken meine Neugierde. Wie Essen sein Aussehen verändert, ist erstaunlich. Manche Gerichte kommen, weil so wunderschön dekoriert, so prachtvoll serviert und so sorgfältig arrangiert, einer Skulptur nahe. Kaum macht man sich daran, davon zu essen, schon schaut alles ganz anders aus, und das, was zuvor skulptural erschien, fällt in sich zusammen, bis nichts mehr davon übrigbleibt. Die Veränderung des Materials erregt Aufsehen. Gewöhnlich findet man Essen in jedmöglichem Zustand vor, ob weich oder hart, ob bunt oder in seiner Farbigkeit zurückgenommen, ob alles separat oder verrührt. Der Teller, der hier mit Gemüse, dort mit verschiedenen Fleischsorten belegt ist, präsentiert sich als wunderbare Bühne für Handlungen. Das habe ich des öfteren als Bildhauer zu zeigen versucht. Es fragt sich da, wie es neu zu definieren, also zu verändern ist.
Übersetzen Sie Objekte des Verzehrs in Kunst, so treiben Sie ein Spiel mit Maßstäben, das mich trotz aller Unterschiede an Bilder von Konrad Klapheck erinnert.
Hm, ich denke, mit Konrad Klapheck nichts gemeinsam zu haben. Er hat einen sehr abweisenden Malstil, von dem das, was ich mache, meilenweit entfernt ist.
Können Sie mir etwas über den Umgang mit dem Maßstab sagen?
Wie gesagt, stellt der Maßstab ein wesentliches Mittel der Veränderung dar, was für mich immer schon aufregend war. Ein Maßstab ist so relativ, daß ihn eigentlich jeder automatisch herstellt, wenn er einen Gegenstand mal näher, mal weiter entfernt von sich sieht. Kinder, die Dinge vergrößern oder verkleinern, spielen häufig mit Maßstäben. Ich selbst liebe diesen sprunghaften Kontrast zwischen groß und klein. Kleine Gegenstände können groß erscheinen, und umgekehrt. Im Jahre 1965 fing ich an, mit dem Maßstab zu hantieren, indem ich Gegenstände aus meinem täglichen Gebrauch in der Stadt so plazierte, als ob sie groß wären. Letztendlich wird da der Maßstab der Landschaft mit dem Maßstab des Objektes kombiniert, und zwar aus der Nähe gesehen. So entstanden Zeichnungen wie die vom Teddybär im Central Park, usw. Anschließend erfand ich so etwas wie eine Erklärung dazu, eine Beschreibung und tat so, als ob es sich um einen Vorschlag für ein richtiges Monument handeln würde. Damit das funktionierte, ließ ich es so realistisch wie möglich erscheinen und versuchte, es der Situation angemessen zu gestalten. Die Kombination zweier Maßstäbe, die wesentlich ist, legte ich in einer Zeichnung nieder. Der phantastische Effekt und Trick mit dem Maßstab läßt sich überall in meiner Arbeit als Thema entdecken. Wer etwas kleine Objekte gebraucht, muß die Tatsache akzeptieren, daß deren Maßstab zu verändern ist, wenn er sie wiedergeben will. Und das, weil sie viel zu klein sind, um realistisch kopiert zu werden. Sobald der Maßstab verändert ist, spielt es keine Rolle mehr, wie groß oder klein etwas tatsächlich ist. Es kommt nur noch darauf an, die richtige Größe für die Situation zu haben, und darauf, daß alles den beabsichtigten Ausdruck annimmt. Der Maßstab bekommt zur gleichen Zeit etwas Zufälliges wie Spezifisches, weil ein ganz bestimmter, ja origineller Maßstab verlangt ist. Während wir, Coosje und ich, große Projekte planen, setzen wir das Objekt mit Hilfe von Modellen in ein Sichtverhältnis zu den Gebäuden, usw. Es genügt nicht, etwas groß darzustellen. Man muß es auch auf eine bestimmte Größe bringen, damit es funktioniert. Übrigens gilt das für alle Objekte in der jetzigen Ausstellung. Was mir in Bonn gefällt, ist, daß in der großen Halle die vielen verschiedenen Maßstäbe im Vergleich zu sehen sind. Man kann hier nicht nur die Maßstäbe vergleichen, sie verändern sich auch ständig. Man sieht sie mal von weitem, mal von nahem. Mal breiten sie sich aus, mal verkleinern sie sich. Hat man erst einmal ein Gefühl für die Veränderung von Maßstäben, so kann es aufregend sein, Objekte von allen Seiten zu betrachten. Wie Sie sehen, ist der Maßstab ein aktiver Bestandteil meiner Arbeit. Es gibt keinen besonderen Maßstab. Er wird immer wieder neu festgelegt, d.h. der Situation angepaßt.
Sie haben einmal behauptet, Ihre Kunst sei von eigenen Erfahrungen abhängig. Können Sie erklären, was damit gemeint ist?
Ja, früh merkte ich an, Kunst aus einer Notwendigkeit heraus und nicht deshalb machen zu wollen, weil sie verkauft werden soll. Mir lag daran, Teil der Tradition zu werden und zu den Ursprüngen der Kunst zurückzufinden. Ich fragte mich: Warum machen Menschen Kunst? Einmal, weil sie es immer schon gemacht haben. Ich selbst wollte hinter die Zivilisation zurückfallen, um herauszufinden, warum Menschen so etwas Merkwürdiges tun. Es schien mir, als hätte es etwas mit deren Erfahrungen zu tun. Diese beruhen darauf, was deren Körper an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten schufen. Das war der Ausgangspunkt, und der Stil versteht sich als Reaktion auf äußere Umstände. Für mich war das immer der erste Schritt. Erwäge ich, den Stil zu wechseln, so muß ich meine Erfahrungen ändern. Das habe ich von Anfang an so betrieben, egal ob es nun um Komplexe wie “The Street”, “The Store” oder “The House” ging. Es bewegte sich von draußen nach drinnen, von New York nach Los Angeles oder von Europa nach Amerika. Meine Arbeit erwuchs aus den Reaktionen meines Körpers, einschließlich meines Geistes, auf Situationen und Orte, in denen ich mich gerade befand, zweifellos übersetzt in Formen. Eine theoretische Basis meiner Kunst ist, davon auszugehen, daß Kunst eine natürliche, aus Erfahrung geborene Ausdrucksform des Menschen ist. Daran glaube ich. Natürlich wurde die Arbeit ein Teil der Tradition, so daß sie auch in die Tradition einsortiert wird. Man bekommt einen Titel. Man gilt als Pop-Artist, abstrakter Expressionist oder sonst irgend etwas, und dann stellen einen Museen aus. Bücher werden über einen verfaßt, Artikel geschrieben, und damit entfernt man sich immer mehr von seinen Ursprüngen. Doch versuche ich, diese im Auge zu behalten. Das ist es, was wir zur Zeit tun. Coosje und ich versuchen nämlich, es auf den natürlichen Ausdruck von dem hinunterzubringen, was wir an einem bestimmten Ort machen wollen.
Gedankensprung, wenn Sie jemanden oder sich selbst portraitierten, so zeigten Sie keine menschlichen Körper, sondern das Hemd oder irgend etwas anderes. Warum?
Das habe ich schon früh so gemacht.
Steckt der Gedanke des Fetischismus dahinter?
Ja, lassen Sie es mich mal wie folgt ausdrücken. Ich entschied, weder ein abstrakter noch ein figurativer Künstler zu werden. Und das, obwohl ich viele figurative und abstrakte Bilder gemalt habe. Ich beschloß, ein Künstler zu werden, der Objekte benutzte, weil sich diese auf beides beziehen lassen. Ich bezog also einen neutralen, freien wie offenen Standpunkt, der mich mit vielen verband. Auf der Ebene hatte ich mit vielen erstaunliche Gemeinsamkeiten, so daß man gut miteinander kommunizieren konnte. Obwohl sich ein Objekt veränderte, ließ es sich immer noch auf ursprüngliche Objekte beziehen. Es behielt für andere immer noch eine Bedeutung und schien mir ein gutes Betätigungsfeld zu sein. Nehme ich Bezug zu einer Person, so stets instinktiv über Objekte. Das fällt in den Bereich des Fetischismus, wo eine Person durch ein Objekt ersetzt wird, eine ganz natürliche Konsequenz. Normalerweise benutze ich zur Darstellung von Personen deren Kleidung als Vorlage oder irgend etwas, das ich mit ihnen in Verbindung bringe. Doch ist das nicht typisch für meine Arbeit. Ich habe noch nie jemanden in Form von Objekten porträtiert, die wesentlich gewesen wären.
Wenn ich Ihren Umgang mit Farbe auf Objekte nehme, so erinnert das an die abstrakt-expressionistische Malweise.
Ja, Sie sprechen damit auf einige der früheren Bilder an, die ich malte, als ich in New York gegen Ende der 50er Jahre ankam. Der problematischste Maler dieser Zeit war Franz Kline, der die dritte Generation der abstrakten Expressionisten verkörperte. Er bemalte Telefonbücher und Zeitungspapier, was de Kooning ebenfalls tat. Das war ein attraktiver, ja schöner Stil, eine Zeitung zu verwenden, die in einem Bezug zur Außenwelt stand. In einigen meiner Zeichnungen reflektiere ich meine Anschauung von diesen Bildern, die ich mochte, um daraus meine eigene Version zu gewinnen. Ich mochte die abstrakten Expressionisten, insbesondere de Kooning und auch Kline. Ich wollte nicht so malen wie sie, aber ihre Weise, zu malen, mit eigenen Interessen vereinbaren, also integrieren. Ich erlebte mich zu dieser Zeit als Übergangskünstler, der in beide Richtungen blickte.
Wollen Sie, wenn Sie Objekte außer Funktion zeigen, deren übersehene Seite vorführen?
In dem Augenblick, wo ich als Künstler mit Objekten umgehe, muß ich sie defunktionalisieren. Es liegt mir nichts daran, daß sie funktionieren, auch interessiert mich nicht, ob sie geheimnisvoll aussehen. Zudem nehme ich auch keinen surrealistischen Standpunkt ein. Ich will sie einfach zu meinen eigenen Zwecken gebrauchen und stelle dazu kein Programm auf. Es stellt nur einen Weg dar, meine Gefühle oder Ideen ins Dreidimensionale zu übersetzen, weil sie so sichtbar gemacht werden können. Dazu dienen mir Objekte als eine Art Behälter oder Gefäß. Dazu sind sie wirklich gut geeignet. An Objekten an sich besteht kein Interesse. Ich brauche sie lediglich als Behälter für das, was ich zu sagen habe oder fühle. So sehe ich das. Objekten werden im 20. Jahrhundert die verschiedensten Eigenschaften zugeschrieben, was ich verwerfe. Denn für mich stellen sie nur Begrenzungen der Ausdrucksfähigkeit im Raum dar.
Verstehen Sie sich als ein antimetaphysischer Realist?
Meine Arbeit ist antimetaphysisch, aber nicht so ganz. Ich möchte dieses Element nicht völlig streichen, denn die Vorstellungskraft ist mir genauso wichtig wie der Realismus. Die Sache ist die: Ich mag es nicht, etwas auszuklammern, denn ich möchte so viel wie möglich einbeziehen. Daher bin ich gegen Schema, Regeln und Vorschriften. Ich liebe es, zu entdecken. Was auch immer der Mensch an Gedanken und Gefühlen zu bieten hat, ich möchte sie entdecken. Genau dasselbe gilt für das, was in der Natur existiert. Ich bin zu offen für Prozesse, doch wer weiß schon, wohin das alles führt? Ich grenze mich jedenfalls nicht gerne ein.
Können Sie mir etwas zu der Beziehung zwischen Formen und Farben sagen?
Ja, wenn Sie Ihre Form farbig gestalten, wird es wesentlich schwieriger. Bildhauer, die nur einfarbig arbeiten, wie normalerweise der Fall, haben es erheblich einfacher. Die Farbe hat ihren eigenen Raum, der dem Raum der Form einer Skulptur widerspricht. Dieses Problem ist faszinierend. Daß ich so sehr in Farben tauche, liegt womöglich daran, daß ich die Dinge aus dem wirklichen Leben vor mir sehe. Denn diese sind stets in Farbe, obwohl dreidimensional. Warum sollte man dann Form und Farbe voneinander trennen? Warum versucht man nicht, sich damit auseinanderzusetzen? Ich liebe das Problem Farbe versus Form, das erst entsteht, wenn man beides miteinander verbindet. Zu müde, um nun darüber weiterzureden, wäre ich dafür, hier das Gespräch abzubrechen. Wir können es ja, wenn Sie wünschen, in New York vertiefen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Heike Bathge und Heinz-Norbert Jocks.
Einzelausstellungen (Auswahl):
1954 Tally-Ho Restaurant, Evanston. 1955 The Bramson Gallery, Evanston. 1959 Judson Gallery, New York. 1960 Reuben Gallery, New York; Sun Gallery, Provincetown. 1961 Ray Gun Mfg.Co, 107 East Second Street, New York. 1962 Green Gallery, New York. 1963 Dwan Gallery, Los Angeles. 1964 Sidney Janis Gallery, New York; The Pace Gallery, Boston; Galerie Ileana Sonnabend, Paris. 1966 Moderna Museet, Stockholm; Robert Fraser Gallery, London. 1967 Museum of Contemporary Art, Chicago. 1968 Irving Blum Gallery, Los Angeles. 1969 The Museum of Modern Art, New York. 1970 Dickson Art Center, University of California. 1971 Pasadena Art Museum, Calif. 1973 M. Knoedler and Co, New York; Minami Gallery, Tokio; The New Gallery, Cleveland, Ohio. 1974 Leo Castelli Gallery, New York; Yale University Art Gallery, New Haven, Conn. 1975 Kunsthalle Tübingen; Walker Art Center, Minneapolis; The Sable-Castelli Gallery, Toronto; The Maior Gallery, London. 1977 Stedelijk Museum, Amsterdam; De volle maan, Delft. 1981 Fine Arts Gallery, University of Nevada, Las Vegas. 1982 The Bruce Museum, Greenwich, Conn; Galerie Schmela, Düsseldorf. 1983 Museum Boymans-van Beuningen, Rotterdam. 1986 Palacio de Cristal, Madrid; Solomon R. Guggenheim Museum, New York. 1987 Museum Haus Esters, Krefeld; Musée National d`Art Moderne, Centre Pompidou, Paris; Galerie Konrad Fischer, Düsseldorf. 1988 Margo Leavon Gallery, Los Angeles; Northern Centre for Contemporary Art, Sunderland; Palais des Beaux Arts, Brüssel. 1990 Galleria Christiaan Stein, Mailand. 1991 BP Building, Cleveland, Ohio. 1992 Portikus, Frankfurt; Museum für Gegenwartskunst, Basel; Walker Art Center, Minneapolis. 1994 Tel Aviv Museum of Art; Glenn Horrowitz Bookseller, East Hampton, New York.
Gruppenausstellungen (Auswahl):
1953 Club St. Elmo, Chicago. 1956 72 East Eleventh Street, Chicago. 1958 City Gallery, New York. 1959 Reuben Gallery, New York. 1960 Martha Jackson Gallery, New York; Washington Square Gallery, New York. 1961 The Museum of Modern Art, New York; The Art Institute of Chicago. 1962 The Dallas Museum for Contemporary Arts. 1963 Stedelijk Museum, Amsterdam; The Museum of Modern Art, New York; Oakland Art Museum, Calif; Institute of Contemporary Arts, London. 1964 Moderna Museet, Stockholm; Tate Gallery, London; Haags Gemeentenmuseum, Den Haag; Solomon Guggenheim Museum, New York; Whitney Museum of American Art, New York. 1965 Musée Rodin, Paris. 1966 The Jewish Museum, New York. 1967 United States Pavillon, Expo `67, Montreal; Museu de Arte, São Paolo; Central Park, New York. 1968 Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven; Haus der Kunst, Neue Pinakothek, München. 1969 Museum of Contemporary Art, Chicago. 1970 Kölnischer Kunstverein, Köln. 1971 Louisana Museum, Humlebaek, Dänemark; Royal Dublin Society, ROSC `71. 1972 documenta 5, Kassel. 1976 The Brooklyn Museum, New York. 1977 Musée National d`Art Moderne, Centre Pompidou, Paris; Westfälisches Landesmuseum, Münster. 1978 Nationalgalerie, Berlin. 1980 Kölnischer Kunstverein, Köln; Wenkenpark Riehen, Basel. 1981 Museen der Stadt Köln, Köln. 1983 Museum Fridericianum, Kassel, documenta 7; Kunstmuseum Basel. 1984 National Gallery, Washington. 1985 École Normale Supérieure des Beaux-Arts, Paris; Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. 1986 Museum Ludwig, Köln. 1988 Palazzo dell`Arte, Mailand. 1989 Helsingin Taidehalli, Helsinki. 1990 Kunsthalle, Nürnberg. 1991 Royal Academy of Arts, London. 1992 Museu Nacional de Belas Artes, Rio de Janeiro. 1993 Guggenheim Museum SoHo, New York; Martin-Gropius-Bau, Berlin. 1994 National Gallery of Art, Washington.