Jolanda Drexler
Hermann Obrist
»Skulptur – Raum – Abstraktion um 1900«
Staatliche Graphische Sammlung, Pinakothek der Moderne, München, 16.7. – 27.9.2009
Eine ungewöhnliche Schau erwartet den Besucher in der Staatlichen Graphischen Sammlung, die sich ohnehin als Ausstellungsexpertin für eher leise Überraschungen erprobt hat. Hermann Obrist ist zwar hinlänglich bekannt als Initiator des Münchner Jugendstils und Mitbegründer der Vereinigten Werkstätten (1898) sowie der 1902 eingerichteten „Lehr- und Versuchsateliers für freie und angewandte Kunst“, deren egalitäre Ausbildung in den verschiedensten Techniken Walter Gropius bei der Gründung des Bauhauses inspirierte. Aber abgesehen von einigen Möbelentwürfen und vor allem den exquisiten avantgardistischen Stickereien ist Obrists Oeuvre, obgleich von der jüngeren Forschung inzwischen als einer der bedeutendsten Beiträge der Kunst um 1900 erachtet, weitgehend unbekannt. Nun liegt es dem Publikum erstmals in Rekonstruktion vor, wozu die Nachlassteile aus der Graphischen Sammlung und dem Züricher Kunstgewerbemuseum Bellerive im gemeinsam erarbeiteten Konzept zusammengeführt worden sind. Ein lange angekündigtes Werkverzeichnis des gelegentlich schwungvoll als einzigen Jugendstil-Plastiker Bezeichneten steht allerdings immer noch aus, wie auch zahlreiche Datierungen und Bildtitel (vor allem bei den Zeichnungen nachträglich erfolgt) noch zu ermitteln sind.
Obrists ungewöhnliche kunsthistorische Stellung scheint allein schon in dessen extravaganter Biographie begründet zu sein. Er wurde 1862 als Sohn einer wohlhabenden schottischen Adeligen und eines musikalisch hochbegabten Schweizer Arztes am Zürcher See geboren. Schon im Kindesalter erwachte an verschiedenen Plätzen Europas seine Liebe zur Natur. Als er mit seiner Mutter 1876 nach Weimar, gleich hinter Goethes Gartenhaus, umgezogen war, begann er begeistert zu botanisieren und riesige Sammlungen von Mineralien und…