Hermann J. Painitz
Kultur und Natur
geb. 1938 lebt in Wien
Das Gegensatzpaar Levi Strauss’ KULTUR – NATUR scheint nicht den ganzen Bogen der angesprochenen Thematik zu umspannen. Nicht berücksichtigt ist der allgegenwärtige und nicht nur auf das Leben des Menschen beschränkte Bereich der Künstlichkeit, der in diesem Zusammenhang am besten als KUNST zu der obenstehenden Polarität gefügt wird.
KUNST wächst nicht, sie ist kein Bestandteil der Natur. In Gegensatz dazu ist Kultur sehr wohl eine Sache, die in einem organischen Zusammenhang mit der Natur gesehen werden kann. Ereignisse in der Landwirtschaft sind agrikulturell, es gibt eine Kultur des Weinbaues und die Kultivierung wilder Landstriche ist eine vitale Beschäftigung der Menschen. Ein Erlebnis, das meine Überlegungen zu diesem Thema eindrücklich beeinflußt hat, war eine Reihe von Tafeln im Wald, die rund um einen jungen Fichtenbestand angebracht waren, um die neue Aufforstung zu schützen. Der Wortlaut dieser Tafeln war: »Kultur, betreten verboten.«
Ebenso erhellt aus dem sprachlichen Bewußtsein, daß das Wort Kultur eine andere, aber mindestens ebenso eindrücklich besetzte Bedeutung im Zusammenhang mit der Kunst hat. Einer sei kultiviert, wenn er Stätten der Kunst, wie Oper oder Theater regelmäßig besucht.
Demnach scheint das Gegensatzpaar KUNST – NATUR zu sein, wobei die Kultur in der Mitte steht und beiden Seiten zugeordnet werden kann.
Es gibt eine wilde Natur, die »unberührte Natur«, eine Natur, die sich in jeder Beziehung frei entwickeln kann. Hemmnisse und Kanalisierungen dieser Natur werden als Kultivierung bezeichnet. Ebenso Steigerungen und Intensivierungen. Die Kultivierung ist in dieser Hinsicht eine Wegnahme von Freiheit, wobei der menschliche Freiheitsbegriff auf…