Johannes Meinhardt
Herman de Vries
»Botanische Werke«
Galerie D & C Mueller-Roth, Stuttgart, 23.10. – 18.12.1993
Herman de Vries, geboren 1931, ausgebildet als Botaniker, lebt seit 1970 in Eschenau im Steigerwald (seinem “Atelier”). Die Städtischen Sammlungen Schweinfurt, die Städtische Galerie Würzburg und die Galerie Mueller-Roth in Stuttgart haben ihm in diesem Jahr drei zusammenhängende Ausstellungen ausgerichtet, die vor allem neuere botanische Arbeiten zeigen.
Der Zugang fast aller Bewohner der hochindustrialisierten Länder zu der sie umgebenden lebendigen Natur ist heute weitgehend distanziert, desinteressiert, ästhetisiert. Die funktionale Welt der produzierten Waren umschließt die Individuen fast lückenlos, und die umgebende Natur wird durch ein wucherndes Geflecht von technischer Beherrschung und naturwissenschaftlicher Kenntnis verdeckt. Natur als Leben, als Fleisch von unserem Fleisch verschwand hinter diesem entfremdenden Geflecht aus technischer und wissenschaftlicher Naturbeherrschung. Natur wurde zum Residuum: zu etwas, das genau deswegen ästhetisch wurde, weil kein anderer Gebrauch mehr bekannt ist.
Fast nur noch mit Wehmut können wir wahrnehmen, wie für die Künstler der frühen Neuzeit die Entdeckung der Vielfältigkeit der wirklichen, lebendigen Welt, die bis dahin vom Schriftwissen verdeckt worden war, eine euphorische Befreiung bedeutete, die Öffnung einer neuen Lebenssphäre. Eine ungeheure Neugier ergriff die Künstler, die so zugleich Wissenschaftler wurden: Die ungeheure Fülle und Vielfältigkeit der Welt galt es zu beschreiben und zu konstatieren – was erst allmählich in den sich entwickelnden klassifikatorischen Wissenschaften zum Auflisten und Klassifizieren, also zum Subsumieren der Individuen unter bekannte Arten und Gattungen, wurde.
Herman de Vries hat sich einer solchen unzeitgemäßen Neugier verschrieben: Beschreibung, Unterscheidung und Differenzierung der Vielfältigkeit der Welt, vor…