Jürgen Raap
Haralampi G. Oroschakoff
»Erdrandsiedler: Wanderer und Orientalisten«
Galerie Hohenthal und Bergen, Köln, 6.3. – 19.4.1997
Haralampi G. Oroschakoff arbeitet mixed-medial: in dieser Ausstellung sind eine einzelne Video-skulptur mit Puppenarmen und die Buchprojekte in den Vitrinen ebenso wichtig wie die großformatigen Bild-installationen an den Wänden. Dort sind Zitate aus der russischen Malerei des 19. Jahrhunderts mit flachen Gipsreliefs kombiniert, deren Oberfläche von kartografischen Linien überzogen ist: sie stellen Grenzverschiebungen zwischen den einstigen Großreichen in Osteuropa dar, nämlich dem byzantinischen, osmanischen und russischen Imperium samt ihren jeweiligen Hegemonialbereichen in der unmittelbaren Nachbarschaft. So wurde z.B. das Gebiet zwischen Dnjestr und Pruth 1512 osmanisch, 1812 russisch, 1918 rumänisch und 1947 wieder russisch – Oroschakoffs Kartografie listet die historischen Wurzeln für die heutige politische Instabilität zwischen Balkan und Kaukasus auf. Da der Zusammenbruch politischer Hegemonien meistens mit geistig-kulturellen Werteverlusten einhergeht, ist seine Prognose für die nahe Zukunft höchst pessimistisch: “Ein seelenloser Westen wird auf einen entleerten Osten treffen”.
Jedes Imperium begreift sich als Zentrum der Welt, und so nannte man im 16. Jahrhundert in Rußland die Menschen am Rande oder jenseits seiner Grenzen “Erdrandsiedler”. Wo die Kolonisierung sie zu einer Emigration in Gebiete außerhalb ihres angestammten Kulturkreises zwang, wurden sie dort als genauso fremd und andersartig empfunden wie jene, die innerhalb der imperialen Grenzen verblieben und von den Zentren St. Petersburg und Moskau aus als “kurios” oder “exotisch” eingestuft wurden. Oroschakoff beschreibt die Geschichte der Regionen zwischen dem Balkan und Mittelasien als Aufeinanderfolge machtpolitischer Gegensätze: die Unterwerfung des kulturell Andersartigen unter eine zentralistisch organisierte Konformität…