Jürgen Raap
Hans-Jürgen Müller
Ausgerechnet ein Galerist, nämlich der Stuttgarter Hans-Jürgen Müller, beklagt die zunehmende Kommerzialisierung des Kunstbetriebs, die einher ginge mit einer Zunahme menschlicher Kälte zwischen den Protagonisten. Es überwiege die „Spekulation… und das schon bei Bildern, deren Hersteller noch BAFöG beziehen“, wettert Müller. Mit diesen Worten beschreibt er nicht etwa den heutigen Kunsthandel mit seinen aalglatten Geschäftemachern, die im Zeitalter von billiger Trash-Kultur und oberflächlichem Event-Trubel mit einer gewissen unfreiwilligen semantischen Selbstentlarvung ihr Sortiment als „Flachware“ bezeichnen, sondern die Zustände des Jahres 1984. Erschienen ist Müllers Kunstbetriebsschelte in einem Interview vor 22 Jahren in dieser Zeitschrift, und man ist erstaunt, wie erfrischend und aktuell die solchermaßen formulierte Kritik an den Strukturen des Kunstmarkts heute noch klingt. Nachgedruckt ist dieses Interview nun in einer Müller-Biografie, die soeben zum 70. Geburtstag des umtriebigen Galeristen erschien. Das ist keine Festschrift mit den üblichen Lobhudeleien, sondern die Dokumentation einer Vision, deren praktische Umsetzung das eigentliche Lebenswerk des Kunsthändlers und seiner Ehefrau Helga Müller ausmacht: Menschen aus Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Politik und Wirtschaft zusammen zu bringen, die bereit sind, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Seit den achtziger Jahren bauen sie zu diesem Zwecke auf Teneriffa an einem zweiten „Atlantis“, der „Zukunftswerkstatt Mariposa“, die Begegnungsstätte, Denkfabrik und Kunstzentrum zugleich ist. Hier, in der entspannenden und heiteren Atmosphäre einer Urlaubsregion, soll sich das innovative Potenzial von Kreativen und Intellektuellen besser entfalten können als in der Sterilität der üblichen Kongressräume.
Streckenweise liest sich diese Biografie allerdings auch wie ein Schelmenroman: Als Müller einmal in vier Frauen gleichzeitig…