Ingo Arend
Hans Hartung
»Spontanes Kalkül«
Museum der bildenden Künste, 4.11.2007 – 10.2.2008
Hartung malt in einer Art Furor. Seine Werke sind Dokumente seines Innenlebens und spiegeln keine abstrakten Theorien wieder«. Was der Kritiker Jean-José Marchand anlässlich des Salon des Realités Nouvelles 1947 in Paris schrieb, sollte für Jahrzehnte die Rezeption eines der wichtigsten Künstler der Nachkriegszeit bestimmen. Hans Hartung, geboren 1904 in Leipzig, Nazi-Flüchtling und Fremdenlegionär, seit 1945 französischer Staatsbürger, galt als einer der großen Stars der Nachkriegsabstraktion. Mit einem Werk, das man für lyrischen Expressionismus hielt, avancierte er zum Vorbild einer ganzen Malergeneration. Er verkörperte aber auch ein politisches Symbol. Das der wieder gefundenen Freiheit nach den Jahren der Nazidiktatur samt ihrem rigiden Realismus-Gebot. Hartungs Werke gehörten zum Kernbestandteil der ersten documenta Arnold Bodes 1955 in Kassel, jener legendären Antwort auf die Nazi-Schau »Entartete Kunst« 1937.
Dass das Museum für bildende Künste Leipzig und die Kieler Kunsthalle ihre große Hartung-Retrospektive nun »Spontanes Kalkül« nennen, deutet schon eine subtile Korrektur der Deutung Hartungs als Vertreter einer reinen Expression an. Nicht, dass die geheimnisvolle Dialektik seiner Bilder, die akribische Präzision mit der die scheinbar ungesteuerte Gestik, in der seine dynamischen Kraftbündel ausgeführt worden war, nicht schon zu ihrer Zeit aufgefallen wäre: So schrieb der Psychotherapeut Ottomar Domnick in einem Sammelband über Hans Hartung 1949: »das scheinbar ungeordnete erweist sich als ständig gezügelt von dem willen zur Gestaltung«. Als Hans Haacke 1959 Hartungs Bilder auf der documenta sah, fühlte er sich, wie er dem Kunsthistoriker Robert Fleck gestand, »ein wenig betrogen, als ich erkannte,…