Doris von Drathen
Hanne Darboven
Portikus, 17.3. – 18.4.1990
In Wirklichkeit sind die modernen Menschen deshalb so verdammenswert, weil ihr Geist einem viel zu kleinen Zeitabschnitt verhaftet ist. Kaum haben sie angefangen zu existieren, sind sie bereits wieder hinter ihrer Zeit zurück” – in einer 20teiligen Schreibarbeit von 1979 zitiert Hanne Darboven die Vorrede von Louis Pauwels zu seinem mit Jacques Bergier verfaßten Buch “Aufbruch ins dritte Jahrtausend. Von der Zukunft der phantastischen Vernunft”.
Seit zwanzig Jahren trägt Hanne Darboven den “modernen Menschen”, der “nicht lernen”, die Zeit hinterher, und es ist gut, daß im Portikus der Pauwelssche Text dazugestellt ist, denn er ist den Schreibarbeiten wie ein poetisch-philosophischer Schlüssel überraschend verwandt. Mit dem hier gezeigten “Quartett 88” blättert sie die Lebenszeiten von vier Frauengestalten auf, von Marie Curie, Rosa Luxemburg, Gertrude Stein, Virginia Woolf, die alle von Quotenregelung nicht wußten und – ohne viel über Emanzipation zu reden – ihren selbstbewußten Weg gingen. Hanne Darboven zitiert ihre Biographien aus dem Brockhaus, breitet ihre Lebensjahre aus, ordnet das private Leben in die geschichtliche Synopse von Kultur und Politik, breitet Lebenszeit auf 745 Einzelblättern – roter Rand, schwarzer Rahmen – aus, fünf Wände, lesend abzuschreiten. Die “Weltansichten 00 – 99”, zur Biennale 1982, waren 5300 Denkzettel an vier Meter hohen Wänden. Ihr “Schreibe und beschreibe nicht – schreibe ab/auf, schreibe rechnen, rechne schreiben” ist in all den Jahren altbekannt, und doch ist dieses Sichtbar-Machen von Zeit immer wieder wie etwas nie Gesehenes; ist es immer wieder neu, wie aus dem bloßen Aufschreiben “ohne Geheimnis”,…