Johannes Meinhardt
Gutai – Japanische Avantgarde 1954-1965
Mathildenhöhe Darmstadt, 24.3. – 5.5.1991
“Die Gutai-Kunst verändert das Material nicht: sie verleiht ihm Leben. Gutai-Kunst verfälscht das Material nicht. In der Gutai-Kunst reichen sich der menschliche Geist und das Material die Hand, obwohl diese gewöhnlich einander entgegengesetzt sind. Das Material geht nicht in den Geist ein. Der Geist zwingt nicht das Material zur Unterordnung”
Gutai-Manifest 1956
Selbstverständlich spielen historische Verkürzungen, Glättungen und Verdichtungen mit, wenn die Ausstellungen und Aktionen der Gruppe Gutai in Osaka, zumindest die der ersten Jahre der Gruppe, 1954 – 57, im Rückblick einen Glanz, eine “ursprüngliche” Frische und eine Unbedingtheit annehmen, die fast dazu verführen könnten, doch noch einmal an Ursprünglichkeit in der Kunst zu glauben. Eine heroische Aura des reinen Anfangs und einer fast naiven, kindlichen und spielerischen Spontaneität, einer jugendlichen Unbekümmertheit und Geschichtslosigkeit umgibt im Rückblick diese Gruppe von jungen japanischen Künstlerinnen und Künstler, die sich um einen Meister scharten, dessen hauptsächliche Lehren so klangen: “Schafft etwas, was vor euch noch nie jemand geschaffen hat”, und: “Hütet euch davor, andere nachzuahmen.”
Jiro Yoshihara, der Meister, wurde 1905 in Osaka geboren und nahm an einer ganzen Reihe von epigonalen japanischen Avantgarden teil. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er von Jean Dubuffet und der Art brut bis zu einem gewissen Grad beeinflußt; doch war Japan bis 1951 so abgeschlossen, war der Kontakt mit der internationalen Kunstszene so gering, daß die Forderung nach einem absoluten Neuanfang sich in einer Situation stellte, für die die eigene Geschichte verloren war, ohne daß eine neue…