Renate Puvogel
Günter Tuzina
Jablonka Galerie, 3.9.-1.10.1988
Günter Tuzina scheint uns immer aufs neue beweisen zu wollen, daß minimale Abweichungen von der Norm nachhaltiger irritieren können als massive Quergänge. Sie stellen sich als unabsichtliche oder beabsichtigte, in beiden Fällen unverkrampft gewonnene Gratwanderungen zwischen Gleich- und Ungleichheit heraus. Freihand gezogen oder gestrichen, nähern sich Linie und Fläche einer Geraden oder einem Quader lediglich an. Ein in sich viergeteiltes Hochrechteck, dessen eine Begrenzung leicht schräg verläuft, geht mit den anderen Kanten, den Binnenlinien und mit der Wand ganz andere Beziehungen ein als ein symmetrisch ausgerichtetes Blatt oder Tafelbild – man denke auch an Richard Serras schwärze Wandzeichnungen. Denn das Wahrgenommene stößt sich am gewußten Maß und wünscht sich den Ausgleich herbei. Dieser ist verblüffenderweise in sich selbst gegeben, sei es, daß eine diagonale Linie in der Wandecke ihren Halt findet, sei es, daß eine leicht hochgezogene Bildecke durch eine farbig betonte Fläche aufgewogen wird.
Im Vergleich zu seinen Anfängen vor rund zehn Jahren hat Tuzina sein Repertoire, obgleich nach außen hin kaum sichtbar, dennoch erheblich ausgeweitet, und man tut gut daran, sich seiner behutsamen Schule des Sehens und Empfindens anzuvertrauen. Der 1951 geborene Günter Tuzina studierte in seiner Heimatstadt Hamburg, zuletzt bei Franz Erhard Walther, und trat 1976/77 bei Konrad Fischer und im Kunstraum München erstmals an die Öffentlichkeit; damit hatte der Künstler auf Anhieb zwei Institute mit dem bekanntlich guten Riecher für eigenwillige Begabungen für sich gewonnen.
Zarte Bleistift- oder Tuschelinien waren zu offenen Winkeln oder geschlossenen Rechtecken über Blatt oder Wand gezogen. Entlang den…