Claudia Wahjudi
Gülsün Karamustafa
»Etiquette«
ifa-Galerie Berlin, 6.5. – 26.6.2011
Was durchs Schaufenster noch aussieht wie ein Hochzeitstisch in einem Haushaltswarengeschäft, entpuppt sich drinnen als gedeckte Tafel, an der niemand glücklich würde, allen Kerzen, allem Blattgold zum Trotz. Auf dem schräg in die ifa-Galerie gerückten Tisch thront das Geschirr so hoch, das Gäste ihr Gegenüber gar nicht sehen könnten. In der Mitte versperrt zudem eine Säule die Sicht, Stimmung senkend in Anthrazit gestrichen wie die Wände des Ausstellungsortes auch. Wasser- und Weingläser, Teller, Kaffeetassen, noch nicht fertig zurecht gerückt, sind mit rund 100 Jahre alten Fotos verziert, die am Beispiel europäisch-großbürgerlich gekleideter Damen und Herren zeigen, was damals als richtig und was als falsch galt: die Arme beim Schluck aus dem Glas eng am Leib zu halten (korrekt), mit abgespreizten Armen Speisen zu zersäbeln (tabu).
Gülsün Karamustafa hat die beklemmende Tafel arrangiert und französisch „Etiquette“ genannt. Ihre Einzelausstellung, die von der Stuttgarter Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen in die Berliner Zweigstelle gewandert ist, bildet den Auftakt der Reihe „Solo für…“, mit der zwei ifa-Galerien ihr Jubiläum begehen – 20-jähriges Bestehen in Berlin, 40-jähriges in Stuttgart. Bereits 1994 hatte die Istanbuler Künstlerin in der Berliner Dependance ausgestellt. In der Gruppenschau „Iskele“ zeigte sie ihre Arbeit „Heimat ist, wo man ißt“, drei angelaufene und in Mull gewickelte Silberlöffel auf Leinen. Da hatte die internationale Karriere der 1946 geborenen Künstlerin gerade erst begonnen. Bis 1986 war ihr der Pass vorenthalten worden, sie konnte nicht reisen.
Die politisch aktive Kunststudentin Karamustafa war 1970 zu sechs Monaten Haft verurteilt…